- Einleitung
In seinem autobiographischen Buch Shock Value – A Tasteful Book About Bad Taste schreibt John Waters, der amerikanische „Pope of Trash“, was vielleicht die legendärste aller Hommagen à Russ Meyer, den „König des Sexfilms“, geworden ist: Waters behauptet nämlich nicht nur, dass Meyers Film Faster, Pussycat! Kill! Kill! (1966) „beyond a doubt, the best movie ever made“ ist, sondern spekuliert auch darüber, dass, gerade weil der so gut ist, „it is possibly better than any film that will be made in the future“. Er plädiert sogar dafür, die kanonischen Meisterwerke eines Hawks oder eines Welles aus den Filmhochschulen zu verbannen, um mehr Zeit für das Studium der Filme Meyers (der „Eisenstein des Sexfilms“), allen voran des besagten Klassikers, zu schaffen[1].
Freilich ist John Waters zunächst ein kultureller Provokateuer, und zwar einer der wichtigsten der nordamerikanischen Geschichte. Sein berühmt-berüchtigt hyperbolischer, schockierender Humor schlägt sich außerdem nicht lediglich in seinen Filmen, sondern selbstverständlich auch in seinen Schriften nieder (nicht umsonst heißt das oben zitierte Buch eben Shock Value). Dennoch ist davon auszugehen, dass seine Begeisterung für Meyers Œuvre und insbesondere für Faster..! vollkommen ehrlich ist; zu lebhaft ist seine nachfolgende Inhaltsangabe des Films, zu herzlich das auch im gleichen Buch nachgedruckte Gespräch zwischen beiden Regisseuren, um in diesem Kontext von einer bloßen Pose Waters’ sprechen zu können – zumal er aus einer solchen Pose nichts hätte schöpfen können: Meyer war 1982 vom mainstream zumindest so respektiert, dass eine Assoziierung mit ihm Waters’ (ohnehin zu Recht verdiente) Trash-Kredenzen nicht mehr hätte aufwerten können; er war aber auch als Sexfilmemacher so populär, dass ein Bekennen zu ihm im Fall eines hypothetischen watersschen „langen Weg durch die Institutionen“ nicht wirklich von Vorteil gewesen wäre.
Abgesehen davon ist das ganze filmische Œuvre Waters (und damit schließe ich bewusst auch seine neueren Studioarbeiten ein) der letztliche Beweis seines immensen Respekts vor den verschiedensten Sparten der exploitation (in der Tat ist exploitation film eines der wenigen menschlichen Phänomene, vor denen Waters überhaupt Respekt zu haben scheint) sowie seiner fast enzyklopädischen Kenntnisse darüber. Die erste These dieser Arbeit ist also, dass der auteur Waters stark von den Pionieren der exploitation beeinflusst wurde, unter anderem maßgeblich von einem anderen auteur, Russ Meyer, dem „Vater“ der nudie-cuties und –was mir in diesem Fall wichtiger erscheint– der roughies.
Dies ist „natürlich“ eine Binsenweisheit, gehören die Filme Waters’ doch auch zumindest teilweise zum exploitation Spektrum[2] und betont er doch selbst bei jeder Gelegenheit, wie wichtig diese filmische Schule für seine eigenen Werke und für sein eigenes Leben war. Ich möchte in dieser Arbeit aber auch auf die distinkte Art und Weise eingehen, in der sich Waters und Meyer als auteurs unterscheiden, sei es aufgrund ihrer persönlichen Weltanschauungen oder aufgrund dessen, dass sie zwei völlig verschiedenen Generationen und Milieus angehören – oder (was eine weitere „Binsenweisheit“ wäre) eher aufgrund einer Mischung dieser beiden –und gewiss einiger weiteren– Faktoren.
Die Anwendung sehr fest belegter Begriffe wie auteur und Œuvre in den früheren Absätzen soll tatsächlich verdeutlichen, dass ich vorhabe, beide Regisseure als Autoren zu vergleichen, die jeweils eigene und bis zu einem gewissen Grad einzigartige Stile im Laufe ihrer Karrieren geprägt haben, und zwar durch die Weiter- oder Rückentwicklung ihrer persönlichen künstlerischen Expression. Da diese Arbeit aber sicherlich nicht den geeigneten Rahmen bietet, um einen halbwegs systematischen Vergleich beider Lebenswerke durchzuführen (schon wegen der Menge der Filme, aus denen diese Lebenswerke –und insbesondere das Meyers– bestehen), muss ich mich damit begnügen, anhand drei ausgewählter Aspekte aus genauso exemplarisch ausgewählten Filmen zu versuchen, die Ähnlichkeiten und Unterschiede, die meines Erachtens feststellbar sind, darzulegen. Auch wenn ich mich darum bemüht habe, eher „allgemeine“ Aspekte auszuwählen, ist diese Methode letztlich eingeschränkt und ihre Ergebnisse können nur als schematisch und als ergänzungswürdig, aber hoffentlich nicht lediglich als willkürlich, betrachtet werden.
Bevor ich mich zu der Auseinandersetzung mit diesen ausgewählten Aspekten begebe und ohne zu wollen, dass dies eine „theorielastige“ Arbeit wird, muss ich kurz erklären, warum ich mich dazu entschieden habe, die auteurist Annäherung an Filme zu übernehmen, obwohl sie alles andere als unumstritten ist (ganz im Gegenteil sogar: sie wird heutzutage in der Filmtheorie fast nicht mehr ernsthaft vertreten, wenn auch in der Filmgeschichtsschreibung schon) und obwohl ich mir selbst nicht sicher bin, dass sie der akademischen Beschäftigung mit dem Phänomen Film eine adäquate Basis bietet. Nachdem ich das geklärt habe, benötige ich auch noch einen weiteren Abschnitt, um Kurzbiographien beider Regisseure zu skizzieren, damit zumindest etwas klarer wird, wie unterschiedlich ihre gesellschaftlichen Kontexte und ihre persönlichen Werte und Interessen sind (das kann ich übrigens nur deshalb mit gutem Gewissen tun, weil ich ja zuvor erklärt habe, warum ich beide Regisseure hier aller postmodernen Diskursivität und formalistischen Orthodoxie zum Trotz als Autoren behandeln möchte).
- Zur politique des auteurs
Stellen wir gleich klar: Das leichte Unbehagen, dass ich empfinde, wenn ich in Bezug auf Meyer oder Waters mit dem Autor-Begriff argumentiere, hat nichts mit der Qualität, den Themen oder den Budgets ihrer Filme zu tun, sondern mit dem Begriff an sich. Frasier hatte es 1990 noch nötig, Auswege aus „the perpetual and insolvable rounds of emotional debate over the merits of Russ Meyer’s work“ zu suchen, indem er, mit Definitionen aus 1969 arbeitend, den Filmemacher aufgrund der „internal consistency“ seines Werkes und seines „unique cinematic statement“ als einen legitimen, wenn auch etwas extravaganten, Autor bezeichnete[3]. Es ist aber in der Filmwissenschaft mittlerweile Konsens, dass die bazinschen politique des auteurs „in one sense resuscitated a romanticism discarded both by the other arts and by the most advanced theory“[4], mit der Folge, dass etliche Filmwissenschaftler mindestens zweier Generationen „would study films as most determined by the creativity of their directors rather than, say, the broader institutions of the film industry or the even broader ones of social and cultural context“[5]. Es scheint also an der Zeit zu sein, Rutskys Ratschlag zu folgen: „[T]o disregard our old notions of purposeful authorship –and identity– and to look instead at the fortuitous cultural patterns and associations that swirl around a star’s persona and body of work“[6].
Bei all seiner theoretischen Schlüssigkeit ist jedoch das Problem eines solchen mehr oder weniger radikalen Ansatzes zunächst einmal, dass er schwer umsetzbar ist. Wie McDonagh schreibt (allerdings in einer Studie zu den Filmen Dario Argentos), „[t]here’s some truth in just about every criticism of the politique [des auteurs] […]. Nevertheless, it’s a useful and practical starting point from which to examine a body of work, particularly one so distinctive as Argento’s“[7]. Meyers und Waters’ Korpora sind aber zweifelsohne nicht weniger charakteristisch als das Werk des italienischen Kult-Regisseurs… und ihre Arbeitsverhältnisse, zumindest während der ursprünglichen Entfaltung ihrer Karrieren, waren um einiges prekärer als die Argentos. Fernab von jeglichem Privileg, aber auch von jedem Druck, der Filmindustrie waren sowohl Meyer als auch Waters der Legende nach wahre one-man-crews, die sich zumindest teilweise um fast alle Aspekte des Filmemachens (Drehbuch, Kamera, Regie, Schnitt, Promotion usw.) bei ihren Streifen kümmerten.
Doch dies ist, wie oben schon geschrieben, letztlich auch eine Legende, nur eine halbe Wahrheit. Selbst autarke Regisseure wie Meyer und Waters, die, wenn nicht aus einem anderen Grund, dann wenigstens aufgrund ihrer geringen Mittel, autark sein mussten, hatten crews, Familien und gesellschaftliche Bekanntschaften… und sie lebten innerhalb einer Kultur, der sie nicht entfliehen konnten, sowie zu einer Zeit, die sie sich nicht selbst ausgesucht hatten. Um Mc Donagh noch einmal zu zitieren, „Yes, film is a collaborative medium, and it’s ignorant to try to speak of a director’s vision as though it existed in some vacuum“[8]. Ferner könnte man dieser –zugegebenermaßen etwas abstrakten– Logik ad absurdum folgend sogar nicht ganz ohne Recht behaupten, dass Künstler nicht über ihre Kultur sprechen, sondern dass es die Kultur ist, die durch sie spricht, oder über sie: Meyer und Waters (und selbstverständlich auch alle anderen Filmregisseure der Geschichte – und nicht nur Filmregisseure) konnten sozusagen per se keine originalen Stimmen haben. Sie waren vielmehr Schnittstellen von Stimmen; sie wurden erst durch Stimmen oder durch Sprache und Kultur konstituiert und sie können darum keine Autoren in dem traditionellen Sinne des Wortes sein.
Aber wieso sollten wir diese Logik ad absurdum führen? Welche neuen Erkenntnisse würde das ergeben, wenn es darum geht, Filme, bei denen nun einmal sicherlich ganz bestimmte Menschen „Regie führten“ (was auch immer das heißen mag), miteinander zu vergleichen? Es ist meiner Meinung nach besser anzunehmen, dass diese Menschen, eben weil sie als Kult-Regisseure bzw. Autoren wahrgenommen wurden, auch als Kult-Regisseure bzw. Autoren beachtet werden sollen – wobei derjenige, der sie in unserer Zeit so beachtet, sich bewusst sein sollte, dass die Begriffe Kult-Regisseur und Autor und sogar Regisseur überhaupt (wie oben gefragt, was heißt denn „Regie führen“? Das, was Cecil B. De Mille machte, oder Jodorowski, oder Kurosawa, oder der Junge, der home movies über den Familienurlaub dreht?) freilich soziale Konstruktionen sind, die keine „Essenz“ zu haben scheinen, sondern vielmehr von uns reproduziert werden, wenn wir (wie in dieser Arbeit) sie mobilisieren.
Kurzum, wir sollten diese Konstruktionen als Konstruktionen betrachten, aber als Konstruktionen sind Menschen wie Meyer und Waters nun einmal Autoren. Den Autor-Begriff völlig in den Mülleimer zu werfen wäre so, wie die Auseinandersetzung mit der Montage und ihrer Geschichte in den Filmwissenschaften aufzugeben, denn Montage ist ja eindeutig auch eine Konstruktion. Eine solche Herangehensweise wäre offensichtlich nicht hilfreich, und vor allem nicht, wenn sie ad absurdum geführt würde. Dies wäre, in der Tat, mit Paralyse gleichzusetzen. Aber vielleicht sind die Worte des bereits zitierten Wissenschaftlers Polan in diesem Zusammenhang besser als meine:
„I would want to argue […] that in the case of certain directors, the very fact that their films are presented as authored, are offered up as the vision of a lone artist, is part of the meaning that must be analyzed. In an age where the director’s name can be a salable attraction for a film, auteurism becomes not a tool of analysis but an object of analysis“[9]
- Kurze biographischen Skizzen Meyers und Waters’
Im Rahmen einer kurzen Seminararbeit wie der vorliegenden, die sich mit den Werken und nicht mit den Personen beschäftigen soll, kann nicht ausführlich auf die Biographien unserer hier zu behandelnden Autoren eingegangen werden. Es sei also an dieser Stelle nur auf ein Paar Punkte hingewiesen, die meiner Meinung nach wichtig sind, um gewisse Unterschiede zwischen den Filmen Russ Meyers und denen John Waters’ nachvollziehen zu können.
Russ Meyer wurde 1922 geboren, und zwar an der Westküste der Vereinigten Staaten (in Oakland, Kalifornien). John Waters dagegen erblickte das Licht der Welt erst 1946 an der Ostküste (in Baltimore, Maryland, der südlichsten Großstadt des Nordens der USA, oder der nördlichsten des Südens, je nachdem, wie man es sehen will). Damit ist eigentlich schon vieles gesagt worden: Während Meyer der Generation angehörte, die ihre Kindheit während der Depression verbringen musste und die im Zweiten Weltkrieg kämpfte, war Waters ein Kind des Wohlstands, das auch noch seine Jugend in den „wilden“ 60ern verbringen würde (mehr dazu später). Die Westküste der Vereinigten Staaten, insbesondere Kalifornien, bringt außerdem konventionellerweise andere Assoziationen hervor als die Ostküste: Die Westküste ist physischer, roher, körperlicher, sexueller und hat mit unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten und mit dem Moloch der Filmindustrie viel zu tun; die Ostküste ist liberal (mit einer Liberalität aber, die auf einer langen Tradition basiert), die Ostküste ist intellektueller und raffinierter, europäischer, künstlerischer – wobei Baltimore auch etwas vom Ruf des amerikanischen Südens anhaftet, nämlich der Ruf, ein Ort voller hillbillies und white trash zu sein[10].
Nicht nur, dass Meyer ein Kind der Depression war, während Waters das „amerikanische Jahrhundert“ in seinem ganzen Glanz „genießen“ konnte: Meyer wurde (zusammen mit seiner Schwester) von seiner alleinerziehenden Mutter großgezogen, die eher zur Unterschicht der Gesellschaft gehörte (sie war Kranken-schwester; der Vater, den Meyer laut eigener Aussage nur einmal sah, war Polizist) und deren Schicksal als alleinerziehende Mutter in Zeiten, wo dies von großen Teilen der Gesellschaft, und sicherlich von deren hegemonialen Teilen, als Grund zur Schande gesehen wurde, bestimmt nicht gerade leicht war. Im Gegensatz dazu wuchs Waters in einer „intakten“ katholischen Familie der upper middle class auf (der Vater besaß ein erfolgreiches Geschäft; die Mutter war Hausfrau), deren Kinder private Schulen besuchen konnten und in der das Geld nie fehlte (die ersten Filme John Waters’ wurden zum Beispiel von seinem Vater finanziert – er betont aber, dass er das Geld immer, und zwar direkt nach jedem Film [nicht etwa erst nach dem Erfolg von Pink Flamingos] zurückgezahlt hat[11]).
Vielleicht erklären diese Familienhintergründe teilweise (aber nicht völlig, denn die Generationenfrage ist dabei sicherlich auch von Bedeutung), warum es zum größten biographischen Unterschied zwischen diesen beiden –zukünftigen– Regisseuren kam, nämlich dazu, dass Meyer in die Armee eingezogen wurde und den Krieg in Europa erlebte, während Waters (ein Vierteljahrhundert später) die Zeit des Kriegs in Vietnam, an dem er nicht teilnahm, dazu nutzte, ein Bohemien zu werden, seine Haare lang wachsen zu lassen, Erfahrungen mit Drogen zu machen, täglich mehrere Filme –egal welchen Genres– zu sehen und seine eigene Mischung aus exploitation, underground und art films zu entwickeln[12].
Die Wichtigkeit dieses Unterschieds ist kaum zu überschätzen: Meyer, der schon während der Schule Auszeichnungen für seine Kurzfilme bekommen hatte, wurde von der Armee als Kriegskameramann eingesetzt und lernte das Handwerk des Filmemachens von professionellen Ausbildern. Waters, der sich an der New York University einschrieb, nur um aus seiner „Einöde“ im Vorort von Baltimore entkommen zu können, und der statt Vorlesungen Kinos besuchte, brachte sich das Handwerk selbst bei… wenn überhaupt behauptet werden kann, dass er das, was klassischerweise unter Handwerk des Films verstanden wird, in irgend einer Weise (je?) gelernt hat.
Dafür lernte Waters etwas anderes: Er entdeckte zum Beispiel die großen europäischen Regisseure seiner Zeit (Bergman, Fellini, Godard usw.) sowie die underground film Szene New Yorks, die ihren absoluten Höhepunkt Mitte der 60er Jahre erreichte. Er konnte sich auch der exploitation mit einer gewissen Ironie, einer Art Distanz, annähern (er war ja zunächst nur Zuschauer, und zwar ein junger Zuschauer, im Vergleich zu den Machern der Filme und zu den meisten anderen Kinogängern, die sich für exploitation interessierten) und diese Distanz ermöglichte es ihm, das Beste aus diesem Filmuniversum für sich zu nehmen (die Direktheit und die übertriebene Absurdität der plots zum Beispiel). Er machte, wie oben schon erwähnt, Erfahrungen mit „bewusstseinserweiternden“ Drogen, die seine Weltanschauung ohne Zweifel veränderten, und er war außerdem Teil einer beträchtlichen Subkultur, die zur Radikalität seiner Filme beitrug bzw. ohne deren Existenz seine Filme –sei es als Widerspiegelungen oder als Reaktionen zu dieser Subkultur– eigentlich nicht denkbar sind. Seinerseits blieb Russ Meyer intellektuell eher begrenzt, „ein Mann des Volkes“, und seine Vorstellungen dessen, was Sex und Gewalt im Film sind bzw. sein können bzw. bedeuten, scheinen immer beim GI-Niveau geblieben zu sein[13]. Dafür war sein Werk kommerzieller im Sinne von „volksnaher“, „ursprünglicher“, vielleicht sogar repräsentativer… und freilich handwerklich um einiges besser als alles, was John Waters je gefilmt hat.
Russ Meyer drehte bloß zwei Studiofilme in seinem Leben (der erste war ein Riesenhit, der zweite ein Flop), nachdem er den eigentlichen Höhepunkt seiner Karriere bereits überschritten hatte. Danach drehte er noch ein paar weitere unabhängige (Kult)Filme. John Waters hat bisher bei sieben Studiofilmen Regie geführt (einer davon war ein Kassenknaller, der [erstaunlicherweise] als für Zuschauer jedes Alters geeignet bezeichnet wurde; alle andere waren künstlerisch, aber nicht unbedingt kommerziell, mehr oder weniger erfolgreich) und seit 28 Jahren hat er kein völlig unabhängiges Projekt realisiert. Er lebt noch (sein letzter Film, A Dirty Shame, erschien vor weniger als sechs Monaten und ist in Deutschland noch nicht aufgeführt worden) und ist eine Art alternativer Star, der cameos bei Woody Allen (Sweet and Lowdown) und als cartoon bei The Simpsons genauso wie standing ovations nicht nur bei seinen Vorträgen an verschiedenen Universitäten, sondern auch in Cannes, bekommt. Russ Meyer starb 2004 (zuletzt hatte er nur Videofilme produzieren können) und war ein in gewissen Kreisen respektierter Filmemacher, der in seinem Leben mehrere Preise gesammelt hatte, und der in die Filmgeschichte als wahrer Autor und Visionär eingegangen ist, der aber als Person nie so berühmt wurde wie Waters. Seine Filme sind dennoch weiterhin bis zu einem gewissen Grad (Video)Kassenschlager.
- Drei Aspekte der Filme Meyers und Waters’ im Vergleich
Nun ist es an der Zeit, mich den Filmen oder –genauer– einzelnen ausgewählten Aspekten einzelner ausgewählter Filme dieser beiden Autoren zu widmen, um sie dann auf der Suche nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zu vergleichen. Dabei fallen einem viele Themen und Aspekte ein: Montage, Produktionsverhältnisse, Rezeptionsgeschichte, Haltung zu narrativer Linearität usw. Aufgrund der Wichtigkeit aber, die Sex und Gewalt in den Filmen sowohl Meyers als auch Waters’ inne haben, werde ich zunächst versuchen, ihre Darstellung von (meistens hetero-) sexuellen Aktivitäten zu beleuchten, um dann den Fokus auf das Thema der Vergewaltigung in ihren Werken zu richten. Die nicht direkt „sexuelle“ oder „sexualisierte“ Gewalt ist ein weiterer Aspekt, den ich später –und schließlich– kurz untersuchen will, bevor ich zum –auch aufgrund der Kürze dieser Arbeit notwendigerweise– provisorischen Fazit komme.
- Sex
Die filmische Darstellung des sexuellen Begehrens ist das mit Abstand konstanteste Element in Meyers Œuvre und übertrifft sogar in seiner Rekurrenz die Repräsentation von Gewalt. Wie schon erwähnt ist Meyer in erster Instanz ein Sex-filmemacher, der, in den Worten seines „Schülers“ John Waters, „is single-handedly responsible for more hard-ons in movie audiences than any other director, despite the fact that he has refused ever to make a hard-core feature“[14]. In keinem seiner Filme hat Meyer auf die Darbietung attraktiver Frauen verzichtet, deren Anziehungskraft einen enormen und nicht selten –aber auch nicht immer– fatalen Einfluss auf wesentlich weniger attraktive, und normalerweise auch um einiges weniger intelligente, Männer hat. Deshalb ist das sich immer wiederholende Element die Darstellung des Begehrens und nicht die Darstellung sexueller Aktivitäten: In den nudie-cuties wurden zum Beispiel gar keine wirklichen sexuellen Interaktionen zwischen Männern und Frauen gezeigt, wohl aber weibliche Figuren und männliche Blicke voller Lüsternheit und womöglich auch Irrationalität; das war jedenfalls der Fall bei einem Klassiker wie The Inmoral Mr. Teas (Meyers bahnbrechendem 1959er Debüt) oder bei weniger wichtigen Werken wie Eve and the Handyman (1960) oder Heavenly Bodies (1963). Der schon erwähnte Faster..!, der kein nudie-cutie mehr ist (es gibt keine Nacktszene und nur spärliche sexuelle Aktivitäten – und es handelt sich nur um Küsse), fängt sogar mit einer Szene an, die leicht als ein selbstbewusster Kommentar zu diesem eigenen Interesse mit dem Thema des Begehrens anstatt mit dem Thema des sexuellen Aktes an sich interpretiert werden könnte: Tura Satana, Haji und Lori Williams, in ihren Rollen als drei go-go Tänzerinnen, bewegen sich leicht bekleidet auf einer Bühne, während übertrieben häßliche und idiotisch aussehende Männer ihnen Platitüden wie „Go baby! Go! Go! Go!“ zuschreien. Ähnliche, wenn vielleicht etwas weniger auf den Punkt gebrachte Bilder der Begierde gibt es in allen früheren und späteren Filmen Meyers (Lorna [1964], Vixen [1968], Up! [1976] usw.).
Diese Darstellung ist, obgleich distanziert, gleichzeitig eine erotische, denn der Zuschauer (jedenfalls das Gros der männlichen heterosexuellen Zuschauer) ertappt sich dabei, die „Überfrauen“, die Meyers Filme bevölkern, genauso anzustarren, wie die männlichen Protagonisten des Films es tun, mit einer irgendwo ekligen aber auch angenehmen Lüsternheit und mit dem permanenten Gefühl, dass diese Frauen toll aber einfach unerreichbar, weil letztlich unnatürlich und –buchstäblich– bigger than life sind. Insofern liegt Thissen, Meyers erster Biograph, meiner Meinung nach falsch, wenn er behauptet, dass „[s]o sehr Meyers Filme auch mit Sex zu tun haben, erotisch oder erotisierend sind sie nicht“[15]. Sie sind es durchaus, aber die Erotik wird bei ihnen mit einer Art Ironie bzw. Distanz gemischt, sodass sie eben nicht nur erotisch sind. Ob diese Ironisierung des Blickes der Männer auf Frauen eine Kritik darstellt, sei dahin gestellt; fest steht aber, dass diese besondere erotische/ironische Darstellung des Begehrens in diesen Filmen stattfindet und dass sie einen beträchtlichen Teil dessen, was gemeinhin den „Meyer touch“ genannt wird, ausmacht.
Sexuelle Aktivitäten an sich, sprich Kopulation, werden aber bei Meyer ab Lorna auch zunehmend häufiger und freizügiger gezeigt, was selbstverständlich sowohl mit seinen Versuchen, seine Filme besser verkaufen zu können, als auch mit der gesellschaftlichen und medialen Entwicklung (die auch teilweise von Meyers Filmen beeinflusst wurde) zu tun hat. Diese Aktivitäten werden auch zumindest im späteren Werk Meyers fast immer mit einer augenzwinkernden Distanz dargestellt: Während er in Lorna und Mudhoney (1965) beispielsweise Sex mehr oder weniger konventionell porträtiert wird, sind die sexuellen Szenen in Filmen wie Good Morning… and Goodbye! (1967), Finders Keepers, Lovers Weepers (1968), Supervixens (1975) oder Beneath the Valley of the Ultravixens (1979) eher lustig und vollkommen künstlich, mit Schauspielern in manchmal akrobatischen Stellungen und mit einer schnellen Montage, die es verhindert, dass wirklich starke sexuelle Spannung entsteht sowie mit komischer Musik und merkwürdigen Geräuschen, die im Hintergrund zu hören sind[16]. Nichtsdestotrotz wird der weibliche Körper so zur Schau gestellt und Sex als eine so „lustige“ Aktivität präsentiert, dass das Ergebnis trotz aller ironischen Distanz ein erotisches ist. Francesca „Kitten“ Natividad, einer von Meyers Stars und seine zeitweilige Lebensgefährtin, sah es jedenfalls auch so. Sie meinte nämlich, dass sie Russ Meyer als Person schon antörnend fand, bevor sie ihn kennenlernte: „I just thought, if this man could make such erotic films, he must be erotic“[17].
John Waters’ Darstellungen von Sex und sexuellen Aktivitäten sind auch ironisch, aber in einem Grad, der sogar bei den späteren Streifen Meyers schlicht unvorstellbar ist. Sex ist bei Waters nie attraktiv, sondern eher das Gegenteil. In einigen Fällen wird er nur als lächerlich präsentiert, in den meisten Fällen als abstoßend: Man denke an Mondo Trasho (1969) mit seiner Geschichte, die einen extremen Fußfetischisten beeinhaltet (das Motiv des Fußfetischismus wird später in Pink Flamingos [1972] und Polyester [1981] wieder aufgegriffen) oder an die berühmte Szene in Pink Flamingos, in der Crackers (Danny Mills) Sex mit einer Frau (Cookie Müller) und… mit einem Huhn hat, das er während des Aktes auch noch vor laufender Kamera umbringt, damit seine voyeuristische Freundin Cotton (Mary Vivian Pearce) ihren Spaß haben kann. Es ist so gut wie unmöglich, einen Film oder auch nur eine Szene von John Waters erotisch oder erotisierend zu finden, und zwar nicht nur nicht unmittelbar sondern in keinster Weise. Selbst in Cry-Baby (1990), einem seiner konventionelleren Filme, wird die –für ein teen-delinquent-musical– obligatorische romantische Szene, in der sich die Protagonisten zum ersten Mal küssen, mit dermaßen übertriebenen Zungenküssen parodiert, bei denen der Zuschauer buchstäblich die Zungen der Schauspieler sieht, dass das mögliche erotische Moment völlig ausgeschlossen ist. Wie Waters selbst sagt, „In all my films, sex is made to look ludicrous. I like sex. […] [But] it is ludicrous. No matter what your preference, you can always say, ‚Well, there sure are a lot of ludicrous positions‘“[18].
Was die Sexszenen eines John Waters freilich noch distanzierter und ironischer machen, ist die Tatsache, dass es in seinem filmischen Universum keine klare Geschlechtergrenzen zu geben scheint, ganz im Gegensatz zum Universum Meyers. Bei Waters gibt es biologisch männliche Schauspieler, die Frauen darstellen (die Rede ist hier natürlich von Divine); zweigeschlechtliche Menschen, die perversen heterosexuellen Männern einen Schreck einjagen können (Pink Flamingos); lesbische Gemeinden, in denen auch mal Transsexualität vorkommt (Desperate Living [1977]); schwule, faschistische Schläger, die alte Damen sexuell befriedigen (Desperate Living noch einmal) usw. Bei Meyer hat es lesbische Szenen gegeben (man denke an Vixen und an das geniale und völlig unerwartete Ende von Up!), nie aber Homosexualität (wenn Adolf Schwartz’ [Edward Schaaf] SM-Session in Up! außer Acht gelassen werden kann); bei Waters hat Divine (in Pink Flamingos) einen anderen Schauspieler (der übrigens in der Fiktion sein/ihr Sohn war) fellationiert. In Female Trouble (1974) versucht Edith Massey, in der Rolle der Tante Ida, ihren verheirateten Neffen vom „falschen Weg“ abzubringen: „Oh, honey, I’d be so happy if you turned a nellie […]. Queers are just better […] I worry you’ll work in an office, have children, celebrate wedding aniversaries. The world of heterosexuals is a sick and boring life!“[19]
Bei John Waters’ Werk gibt es beliebig viele Beispiele dieser radikalen Dekonstruktion der sexuellen Konventionen einer heteronormativen Gesellschaft, in der Sex nicht nur nicht als komisch, sondern eigentlich als eine todernste Angelegenheit betrachtet wird. Bei Meyer wird Sex ironisiert und in lustiger Art und Weise dargestellt, jedoch auch als letztlich erotisch, und sei es nur deshalb, weil der weibliche Körper dann doch zur Schau gestellt wird. Wir können also festhalten, dass die visuelle und inhaltliche Behandlung des Themas „Sex“ bei diesen beiden Autoren, selbst wenn wir an die späteren, cartoon-mäßigen Filme Meyers denken, nicht unterschiedlicher sein könnte – was übrigens schon an den Körpern ihrer Schauspieler und Schauspielerinnen gesehen werden kann: Bei Meyer sind es „männliche“ Männer mit square jaws sowie vor allem unglaublich weiblich aussehende Frauen (die so unglaublich weiblich sind, dass sie manchmal monströs wirken); bei Waters sind es mehr oder weniger dem ästhetischen Kanon entsprechende Menschen, die mithilfe des Make-ups hässlich gemacht werden, oder eben geschlechtsuneindeutige, dicke, zahnlose, alte, absichtlich geschmacklos gekleidete und sogar entstellte, also dem Kanon nicht entsprechende, Menschen.
- Vergewaltigung
Wenige Filmemacher außerhalb der Pornobranche sind als „Frauenverachter“ und „Frauenausbeuter“ dermaßen oft und heftig attackiert worden wie Russ Meyer. Sogar einige seiner Lebensgefährtinnen und mehrere seiner Schauspielerinnen waren der Meinung, dass seine Filme exploitation im negativen Sinne waren, wie Meyer selbst einmal zugab:
„Jede Frau, mit Ausnahme von Babette und Kitten, und sie waren beide Stripperinnen, waren [sic] am Ende gegen meine Arbeit. Rena [Horten] zum Beispiel: wir trafen uns, wir fickten […] – aber später haßte sie, was meine Filme repräsentierten, weil es sie als Frau beleidigte“[20].
Gewiss, Meyer war persönlich nicht gerade progressiv im Hinblick auf Gleichberechtigung und Frauenemanzipation und er konnte Meinungen wie die folgende ernsthaft vertreten: „[A]ußer vor der Kamera ist für Frauen kein Platz beim Filmemachen […]. Frauen sind unausgeglichen, emotional, sie besitzen nicht richtig die Fähigkeit, sich da hart ranzuhängen, und wenn sie die Fähigkeit haben, sind sie entweder lesbisch oder häßlich“[21]. Das soll aber nicht automatisch heißen, dass seine Filme frauenfeindlich sein müssen[22], zumal eine Pauschalisierung bei einem so facettenreichen Werk wenig Sinn macht.
Es soll hier aber nicht um die Frage der Frauenfeindlichkeit gehen, weil sie –und sei es auch nur aufgrund der Häufigkeit der oben erwähnten Tiraden gegen den Regisseur– eine ganze Arbeit für sich beanspruchen würde[23]. Vielmehr soll nun auf eine gewisse Form der Gewalt gegen Frauen eingegangen werden, deren wiederholte Darstellung in Meyers Filmen immer wieder als der definitive Beweis seiner Frauenfeindlichkeit vorgeführt wird, nämlich die Vergewaltigung. Eine berühmt-berüchtigte Szene fällt dabei unvermeidlich jedem, der sich mehr oder weniger im Werk Meyers auskennt, spontan ein, nämlich die der Vergewaltigung in Lorna, die von Quarles zutreffend als „one of the most objectionable sequences in a Meyer film“ bezeichnet wird[24]. In dieser Szene geht die Protagonistin des Filmes, eine auf dem Land lebende und verheiratete, aber sexuell unbefriedigte Frau namens Lorna (Lorna Maitland), spazieren, wobei sie einen entflohenen Häftling trifft (Mark Bradley), der sie vergewaltigt… woraufhin sie anscheinend zum Orgasmus kommt, sodass sie ihn mit zu ihr nach Hause bringt, um weiter Sex mit ihm zu haben. Am Ende des Filmes wird sie allerdings bestraft, denn ihr Mann (James Rucker) kommt früher als gedacht nach Hause (und zwar deshalb, weil einer seiner redneck Kollegen [Hal Hopper], der selbst ein Vergewaltiger ist [der Film beginnt mit einer Vergewaltigung, die er durchführt], ihn davon überzeugt hat, dass Lorna fremdgeht) und der darauf folgende Streit führt zu einem Unfall, bei dem sie stirbt.
Es geht mir hier –ich wiederhole das– nicht darum, ob diese Szene bzw. ob dieser Film frauenfeindlich ist oder nicht[25], sondern um den filmischen Ton, mit dem diese Gewalttat dargestellt wird. Und dieser ist ein ernsthafter Ton: Man sieht, wie eine „wahre“ Vergewaltigung stattfindet, wie die vergewaltigte Frau Widerstand leistet und mit welcher Brutalität der Vergewaltiger vorgeht. Es gibt Schläge, Schreie, Handgreiflichkeiten und die allgemeine Stimmung der Szene (jedenfalls bis zu dem Moment, in dem Lorna nachgibt – und vielleicht auch jedenfalls für einen Zuschauer im 21. Jahrhundert) ist eine sehr bedrückende.
Genauso ist es übrigens bei der schon erwähnten ersten Szene des Films (oder sogar noch ernsthafter und bedrückender, denn die dort vergewaltigte Frau „verliebt“ sich nicht in ihren Vergewaltiger) sowie in den Vergewaltigungsszenen des Meisterwerkes Mudhoney, das der ernsthafteste Film Meyers überhaupt ist.
Um die Sache wenigstens etwas zu relativieren, muss noch darauf hingewiesen werden, dass es in der Karriere des Kult-Regisseurs eine eindeutige Entwicklung hin zu einem immer ironischeren und groteskeren Ton gibt, sodass die Vergewaltigungen, die in einem völlig –und absichtlich– absurden Film wie Up! zu sehen sind, so übertrieben und komisch sind, dass sie nicht mehr eine Darstellung einer Vergewaltigung sind, sondern ein ironischer Kommentar zum sexuellen Begehren, zu Gewalt und zu Geschlechterbeziehungen. Dass Russ Meyer die Sache ernst war, wird aber zum Beispiel teilweise dadurch belegt, dass er in Vixen, einem Übergangsfilm zwischen seinen roughies der 60er und seinen glamourösen „cartoons“ der 70er, darauf verzichtet, die Vergewaltigung Vixens (Erica Gavin) durch einen Schwarzen (Harrison Page) geschehen zu lassen. Dort bleibt es bei einer versuchten Vergewaltigung und zwar vermutlich deshalb, weil eine „interrassische“ Vergewaltigung für einen Meyer, der sich über vieles, aber eben nicht über alles, lustig macht, wohl doch ein bisschen zu viel war[26].
John Waters kennt dagegen keine Tabus, erstens weil er sich seiner privilegierten Position als amerikanischer kultureller Provokateur Nr. 1 zu bewusst ist, zweitens aber freilich, weil viele Tabus von Pionieren wie Meyer und anderen Regisseuren bereits gebrochen worden waren, als er seine Filme drehte. In seinen trash movies der 70er Jahre gibt es zahlreiche Vergewaltigungen; sie werden aber so überzogen dargestellt, dass sie einfach ungeheurlich sind, und zwar nicht im moralischen, sondern im filmischen bzw. narrativen Sinne. So wird Divine in Multiple Maniacs (1970) gleich dreifach vergewaltigt: das erste Mal von zwei kiffenden Transvestiten, die im Film sonst keine Rolle spielen; das zweite Mal von einer betenden Frau in einer Kirche (Mink Stole), die sie mit ihrem Rosenkranz penetriert (hierbei hat Divine übrigens, wie zu ihrer Zeit auch Lorna, ab einem gewissen Moment ihren Spaß); und das dritte Mal von einem gigantischen Hummer (Lobstora), der aus dem Nichts auftaucht, nachdem Divine ihren Freund (David Lochary) und seine Liebhaberin (Mary Vivian Pearce) ermordet hat, und der nach dieser fantastischen Vergewaltigung wiederum aus dem Film verschwindet. In Pink Flamingos werden Frauen eigentlich nicht vergewaltigt in dem engeren Sinne des Wortes, jedoch werden einige von einem Teilzeit-Transvestiten (Chan Wilroy) mithilfe von Inseminationsgeräten geschwängert, damit ihre Neugeborenen an lesbische Pärchen verkauft werden können. Um das noch zu toppen, lässt Waters Divines Charakter in Female Trouble, Dawn Davenport, von einem Typen namens Earl vergewaltigt werden. Dabei wird Earl nicht nur auch von Divine gespielt, sondern er trägt auch noch eine mit Exkrementen verschmutzte Unterhose[27].
Diese Beispiele (es gäbe noch ein paar, obwohl das Thema spätestens seit Hairspray [1987] von Waters nicht mehr behandelt wurde) sind dazu da zu zeigen, mit welchem –um den Begriff noch einmal zu benutzen– ungeheurlichen Blick auf die Vergewaltigung und, ferner, auf das ganze menschliche „Zusammenleben“ Waters arbeitet – ein Blick übrigens, der auch alle filmischen Konventionen… und zwar auch die, die bei Meyer noch im Hintergrund Gewicht haben, parodiert und sogar dekonstruiert. So sind es bei Waters keine „echten“ Männer, die Frauen vergewaltigen. Im Fall von Divine ist die „vergewaltigte Frau“ außerhalb der selbstbewusst absurden Fiktion nicht einmal wirklich eine Frau. Die Gewalttat wird niemals ernsthaft gezeigt, die Rollen niemals starr und den gesellschaftlichen Normen entsprechend verteilt, sodass die Vergewaltigung auch nicht –wie vertretbarerweise in Lorna– idealisiert werden kann. Dafür sind die Geschichten, in denen die an sich völlig überzeichneten Vergewaltigungen kontextualisiert sind, einfach zu übertrieben, so parodisch, dass das Wort „parodisch“ zu kurz greift, so geschmacklos, dass sie dann wieder geschmackvoll und tiefsinnig werden – was letztlich auch über die schon besprochene Darstellung der Sexualität und der Ästhetik des Körpers bei Waters sowie über seine Darstellung nicht sexueller Gewalt, auf die ich nun eingehe, gesagt werden kann.
- 3. Gewalt
Obwohl ich in dieser Arbeit bisher hauptsächlich auf die unterschiedlichen Blicke auf und Repräsentationsformen von Sex und Vergewaltigung in den Filmen Russ Meyers auf der einen und John Waters’ auf der anderen Seite hingewiesen habe, und dabei wahrscheinlich einen gewissen Favoritismus für das radikalere und progressivere (teilweise auch weil spätere) Werk Waters’ habe erkennen lassen, muss ich jetzt zugeben, dass ich bei ihren Darstellungen gewalttätiger Situationen viele Ähnlichkeiten zwischen beiden Regisseuren sehe. Damit will ich nicht sagen, dass John Waters je „normale“ Gewaltszenen gedreht hätte, wie sie in relativ frühen Filmen Meyers wie Lorna oder Mudhoney zu sehen sind: Schlägereien, Lynchmorde, Notwehr usw. Was ich aber durchaus behaupten würde, ist, dass die Gewalt, die in Meyers Streifen ab Faster..! immanent ist, eine überzogene und fast surrealistische Gewalt ist, die in zunehmend absurden Zusammenhängen situiert ist und deshalb einen fast symbolischen Wert hat. Es geht nicht um eine „realistische“ Darstellung der Gewalt: Varla (Tura Satana) in Faster..! ist zum Beispiel das Böse schlechthin, eher ein Archetyp als eine konventionelle Filmfigur, und die Art und Weise, wie sie Tommy (Ray Barlow), den sunny-boy, dem sie im Autorennen fast unterlegen gewesen wäre, mit ihren Karate-Techniken tötet, ist offenkundig nicht ernst gemeint. Gerade in diesem Film ist die immer schlecht gelaunte Lesbe Rosie (Haji) auch so eindeutig gemein, dass ihre Gewaltexzesse schon als eine Parodie auf die Gewalt im Film interpretiert werden kann.
Diese Tendenz zum Hyperbolischen zeichnet sich in den weiteren Filmen Meyers auf: Der Handlungsstrang in Vixen, in dem ein Kommunist (Michael O’Donnell) ein Flugzeug entführt, steht zu sehr im Kontrast zum restlichen Film, um als ernste Gewalt genommen zu werden, genauso wie die nach den herkömmlichen Erzählstrukturen Hollywoods völlig überflüssige Blutorgie am Ende des Studiofilms Beyond the Valley of the Dolls (1970). Einige mögen in der Szene von Supervixens, in der SuperAngel (Shari Eubank) von ihrem Mann (Charles Napier) übelst zusammengeschlagen wird, um am Ende sogar in der Badewanne von ihm mithilfe eines angeschlossenen Transistor-Radiogeräts umgebracht zu werden, einen weiteren Beweis des angeblichen Chauvinismus Meyers sehen; meiner Meinung nach geht es in dieser „most famous single scene in a Meyer film“[28] um eine extreme, und gerade deshalb offensichtliche, Überzeichnung, die mehr mit einer Karikatur und mit einer Parodie als mit einer Verherrlichung der Gewalt zu tun hat.
Noch eindeutiger ist der parodistische Wille freilich in Up!, wo wir zwei Männer (Monte Bane und Bob Schott) sehen, die weiter gegeneinander kämpfen, nachdem sie beide bereits jeweils eine Axt in die Brust gesteckt bekommen haben, und die mit Kettensägen durch die Gegend rennen[29], während die zwei Protagonistinnen des Films (Raven De La Croix und Jante Wood) eine Art Epiphanie erleben und die Vorteile der lesbischen Liebe für sich entdecken. Wenn man überhaupt etwas an dieser Symphonie der Ultra-Gewalt kritisieren kann, dann nur, dass sie selbst zu klar macht, dass es sich bei ihr um eine Parodie handelt.
Waters’ Filme der 70er Jahre (und ansatzweise auch die der 80er und 90er: Man denke an Polyester, an Serial Mom [1994] oder an Cecil B. DeMented [2000]) sind ähnlich übertrieben gewalttätig wie die oben erwähnten Klassiker Russ Meyers, vielleicht aber mit dem Unterschied, dass sie sogar noch mehr und noch maßlosere Gewaltszenen enthalten. Bereits in seinem früheren Werk Eat Your Makeup (1967) ließ sich Waters eine Geschichte einfallen, in der weibliche Models dazu gezwungen werden, vor der Kamera bis zu ihrem Tod zu posieren. In Multiple Maniacs gibt sich Divine nicht damit zufrieden, mehrere Menschen, inklusive ihren Freund und seine Liebhaberin, wie oben schon erwähnt, mit sichtbarer Grausamkeit umzubringen: Sie isst sogar ihre Eingeweide. Pink Flamingos endet ebenso mit einer Szene so extremer Gewalt, nämlich mit der öffentlichen Hinrichtung der Antagonisten Divines (David Lochary und Mink Stole), dass es schwer ist, zumindest das erste Mal, das man diesen Film sieht, nicht doch schockiert zu sein – und zwar, um klarer zu sein, nicht etwa wegen der mittlerweile legendären letzten Szene des Streifens, in der Divine Hundekot vor laufender Kamera und ohne Schnitt isst, sondern eben wegen der latenten Gewalt und des offensichtlich „perversen“ Umgangs der Hauptfigur (und praktisch aller anderen Figuren auch) mit Menschen. Female Trouble besteht eigentlich hauptsächlich aus Gewaltszenen nach Gewaltszenen und der plot beeinhaltet Kindesmissbrauch, Gesichtsentstellung durch Säure, Mutter-, Vater- und Massenmord sowie eine Exekution auf dem elektrischen Stuhl. In Desperate Living werden Menschen auf alle erdenklichen Weisen ermordet sowie von einer Idi Amin Dada und Hitler verehrenden Königin (Edith Massey) ständig erniedrigt. In einem für John Waters typischen happy end wird diese Königin allerdings vom Volk durch eine blutige (und lesbische) Revolution gestürzt, um dann getötet, gekocht und letztlich auf einem großen Fest verspeist zu werden.
Untersucht man also die Werke Meyers ab 1966 (d. h. ab Faster..!) und die Waters’ vergleichend und mit Schwerpunkt auf ihrer Darstellung von Gewalt, kommt man schnell zum Ergebnis, dass es dabei mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede gibt. Insbesondere Meyers Filme der 70er Jahre (mit Ausnahme von Beneath the Valley of the Ultravixens, bei dem Meyer anscheinend auf die heftige Kritik an den Gewaltexzessen in Supervixens und Up! reagierte und sich auf den Sex konzentrierte, ohne Gewaltelemente in die Geschichte hineinzumischen) scheinen eindeutig nicht bloß gewalttätig, sondern das Phänomen der Gewalt (im Film) reflektierend und parodierend zu sein, mehr oder weniger wie die Waters’. Von letzterem kann freilich auch behauptet werden, dass er als Regisseur wie oben bereits angedeutet nie das Stadium der weniger ironischen Gewalt durchmachen musste (wie Meyer zum Beispiel in Lorna), weil er eben einer späteren Generation angehört, die mit roughies, teen-delinquent und gore movies aufgewachsen ist, und abgesehen davon auch deshalb, weil er aus den Reihen einer größeren Subkultur agiert, die sowohl konservative als auch liberale Menschen als auch hippies und peace freaks zu provozieren und zu schockieren beabsichtigte. Sein Blick auf die Darstellung von Gewalt im Film konnte und musste deshalb von Anfang an ein ironischer sein. Sein Blick konnte und musste ebenso ein sehr viel radikalerer sein als der Meyers, vielleicht eben deshalb, weil er letztlich auch auf dem Blick des alten Meisters aufbaute.
- Provisorisches Fazit
Trotzki schrieb einmal, dass es keinen weiteren Sinn machte, über Chejov Aufsätze zu schreiben: Über Chejov sollten Bücher geschrieben werden. Dasselbe könnte man in Bezug auf Russ Meyer und John Waters behaupten. Zwar ist es freilich nicht so, dass es keine Bücher über diese amerikanischen Autoren auf dem Markt gäbe; es handelt sich aber bei den relativ wenigen solcher Bücher in der Regel um nicht wirklich tiefgreifende Studien, die auf der anekdotischen Ebene bleiben und/oder völlig unkritisch (siehe Thissen) sind. Die besten Bücher über John Waters sind beispielsweise immer noch die, die er selbst geschrieben hat.
Ich beginne mein Fazit so (und darum ist es auch nur ein „provisorisches Fazit“), weil mir bewusst ist, wie sehr ich in dieser Arbeit letztlich auf der Oberfläche blieb bzw. bleiben musste. Ich musste zum Beispiel darauf verzichten, um den Rahmen einer kurzen Seminararbeit nicht zu sprengen, auf eine ganze Menge Aspekte einzugehen, die bei der Beschäftigung mit einem oder mit beiden dieser Regisseure im Vergleich interessant sein könnten: die technischen Aspekte ihrer Filme, die Wechselwirkung zwischen ihnen, die ideologischen und politischen Fragen, die in ihren Werken behandelt werden, die Stellung der Filmindustrie und des Publikums (und der verschiedenen Teile des Publikums) ihnen gegenüber usw.
Was mir trotzdem hoffentlich gelungen ist, ist aufzuzeigen, welche Ähnlichkeiten und Unterschiede es bei ganz wichtigen thematischen Feldern zwischen den Œuvren Russ Meyers und John Waters’ gibt, nämlich bei den –hier sehr allgemein genannten– Feldern „Sex“, „Vergewaltigung“ und „Gewalt“. Dass ich zum Schluss gekommen bin, dass John Waters der radikalere der beiden Filmemacher ist, ist nicht überraschend, genauso wenig wie die Einsicht, dass er sich seine Radikalität unter anderen Gründen deshalb leisten konnte, weil frühere Regisseure wie Meyer die Grenzen des im Kino Zeigbaren durch ihre Pionierarbeit erweitert haben. John Waters steht also in der Tradition Russ Meyers, stellt aber eine Weierentwicklung dar, denn er war in der –historischen– Lage, verschiedene Filmgenres und sogar Filmwelten (exploitation, underground und art films auf der einen Seite, und auf der anderen Seite Disney und The Wizard of Oz) synthetisieren zu können. Dass er das auf der eher intellektuellen Ebene tat, in dem Sinne, dass er handwerklich bei weitem nicht so begnadet ist wie ein Meyer, geschweige denn wie ein Scorsese oder ein Coppola (die selbstverständlich viel höhere Budgets zur Verfügung hatten als Meyer – und als Waters), macht seinen Beitrag zur Filmgeschichte nicht weniger wichtig und einzigartig. Andersherum ist die Tatsache, dass Meyers Werk „ursprünglich“ nichts mit dem Intellekt zu tun hatte, auf keinen Fall von Nachteil, und zwar nicht nur, weil er –wie mehrhaft gesagt– zweifelsohne der beste exploitation film Handwerker aller Zeiten war (und, hätte er die nötigen Mittel gehabt, womöglich einer der besten der Filmindustrie überhaupt), sondern auch deshalb, weil seine Arbeit mittlerweile –und seit langem– auch Gegenstand intellektueller Forschung geworden ist, so stark und einflussreich ist die filmische Strömung, die er mitbegründete und, als Autor, verkörpert.
Es gibt also viele Unterschiede zwischen Meyer und Waters und diese Unterschiede sind teilweise generations-, teilweise sozial-, teilweise aber auch andersbedingt (eine systematische Analyse wäre nötig, um eine wenigstens halbwegs umfassende Liste der Faktoren, die diese Unterschiede erklären, verfassen zu können). Was jedoch fest stehen kann ist, dass sie beide Autoren sind, wenn es überhaupt so etwas wie Autoren gibt – und nicht nur das, sondern zwei der demokratischsten und demokratisierendsten Autoren des 20. Jahrhunderts, die eine gesellschaftlich nicht akzeptierte und sogar verpönte, aber trotzdem populäre Ästhetik und Filmwelt so weit brachten, dass praktisch jeder akzeptieren musste, dass sie auch Kunst war. Von wenigen Regisseuren, und gewiss fast von keinem anderen, der unter solchen lächerlichen Produktionsverhältnissen arbeitete, kann das gleiche gesagt werden.
[1] Siehe Waters, John, Shock Value – A Tasteful Book About Bad Taste, New York 1981, S. 192. Das Kapitel, in dem er das schreibt, heißt (wohl ohne wirkliche Ironie) „Two Masters“.
[2] Es ist schwer, wenn nicht sogar unmöglich, eine umfassende und nicht ahistorische Definition dafür zu finden, was exploitation ist, zum Einen, weil der Begriff an sich negativ belegt ist… und als Synonym für „schlechte Qualität“ oder „unverschämten Kommerz“ benutzt wird, zum Anderen aber auch, weil es heutzutage vertretbarerweise keine exploitation films mehr gibt… abgesehen von blockbusters à la Jurassic Park – oder das denkt zumindest der exploitation Regisseur Herrschell Gordon Lewis (übrigens der zweite „Meister“, den Waters in Shock Value erwähnt), wie Paul Watson berichtet in „There’s No Accounting for Taste: Exploitation Cinema and the Limits of Film Theory“, in Cartmell, Deborah; Hunter, I. Q.; Kaye, Heidi; und Whelehan, Imelda (Hrsg.), Trash Aesthetics – Popular Culture and its Audience, London 1997, S. 66-83 (Zitat S. 79). Mike Quarles fängt sein Buch Down and Dirty – Hollywood’s Exploitation Filmmakers and Their Movies, Jefferson 1993, so an: „Exploitation films are no different from any other kind of movie […] Only because they [appeal to the audience] more directly, with perhaps a little less finesse than a Hollywood movie, are they branded as exploitation“ (S. xiii). Eine weitere und ganz andere Diskussion dazu, bei der Meyers Filme als Post-Classical-Exploitation erwähnt werden (also als nicht wirklich exploitation), findet man in der Einleitung von Schaefer, Eric, Bold! Daring! Shocking! True! – A History of Exploitation Films, 1919-1959, Durham 1999.
Auf die Gefahr hin etwas zu schreiben, was ohnehin offensichtlich ist, muss ich betonen, dass ich in der vorliegenden Arbeit den Begriff exploitation ohne jegliche negative Konnotation benutze, sondern rein deskriptiv. Um ehrlich zu sein, benutze ich ihn fast durchgehend mit positiven Konnotationen. In Bezug auf Waters ist es auch so, dass ich sage, dass er „teilweise“ zum exploitation Spektrum gehört, weil er auch eindeutig zum Underground gehört(e). Mehr dazu weiter unten.
[3] Siehe Frasier, David K., Russ Meyer – The Life and Films – A Biography and a Comprehensive, Illustrated and Annotated Filmography and Bibliography, Jefferson 1990, S. 1-2.
[4] Aus Stam, Robert; Burgoyne, Robert and Flitterman-Lewis, Sandy (Hrsg.), New Vocabularies in Film Semiotics – Structuralism, Post-Structuralism, and Beyond, London 1992, S. 190.
[5] Aus Polan, Dana, “The Confusions of Warren Beatty”, in Lewis, Jon (Hrsg.), The End of Cinema as We Know It – American Film in the Nineties, New York 2001, S. 141-149 (Zitat S. 142).
[6] Siehe Rutsky, R. L., „Being Keanu“, in Lewis, op. cit., S. 185-194 (Zitat S. 186).
[7] Siehe McDonagh, Maitland, Broken Mirrors/Broken Minds – The Dark Dreams of Dario Argento, London 1991, S. 9.
[8] Idem, S. 9.
[9] Aus Polan, op. cit., S. 142.
[10] Mir ist bewusst, dass es sich bei dieser Aufzählung lediglich um Klischees handelt. Diese Klischees sind allerdings bei der Wahrnehmung und Kategorisierung von Menschen sehr wirksam. In anderen Worten: Die Art und Weise, wie Regisseure wie Waters und Meyer von den „normalen“ Menschen wahrgenommen werden (oder wie sie sich selbst wahrnehmen), wird womöglich auch teilweise von Klischees wie den oben genannten, unter anderen, erheblich beeinflusst.
[11] Siehe Waters, op. cit., S. 233-234.
[12] Gewiss, er wurde nicht eingezogen, weil er „ungeeignet“ (zu dünn) war. Wenn man aber bedenkt, dass er schon als Jugendlicher ein selbst ernannter beatnik war, der LSD bereits 1964 regelmäßig einnahm (als die meisten Amerikaner nicht einmal wussten, was LSD war) und der, wenn auch kein Pazifist, doch sicher sich auf irgend einer Ebene gegen den Vietnam-Krieg setzte, dann ist es schwer vorstellbar, dass er hätte eingezogen werden können… zumal seine Familie wohlhabend war und, wichtiger noch, Kontakte zu Washingtons establishment hatte (John Whitaker, Waters Onkel, hatte später, unter Nixon, eine ziemlich hohe Position in der Regierung – siehe Waters, op. cit., S. 233, oder Ives, John G., John Waters, New York 1992, S. 14). Fest steht jedenfalls, dass Waters nicht gerne in den Krieg gezogen wäre – im Unterschied zu Meyer, der die Nazis bekämpfen wollte und für den der Krieg die „greatest experience“ seines Lebens war (siehe Frasier, op. cit., S. 2).
[13] Die Einsicht über das „GI-Niveau“ habe ich aus Jameson, Richard T., „Up!“ (Rezension), in Keough, Peter (Hrsg.), Flesh and Blood – The National Society of Film Critics on Sex, Violence, and Censorship, San Francisco 1995, S. 28-30. Diese Rezension ist übrigens eine ausgesprochen positive.
[14] Waters, op. cit., S. 192.
[15] Siehe Thissen, Rolf, Russ Meyer – Der König des Sexfilms, München 1985, S. 14. Meyer entschloss sich übrigens dazu, seine eigene Autobiographie zu schreiben, als er merkte, dass er bei der Lektüre des Buchs Thissens mehr als 40 Seiten voller Korrekturen geschrieben hatte. Er erreichte auch noch, dass das Buch per gerichtliche Entscheidung nur innerhalb Deutschlands… und nicht auf dem internationalen Markt… verkauft werden kann. Siehe Frasier, op. cit., S. 27.
[16] Meyer behauptet, dass die Geräusche, die in Beneath the Valley of the Ultravixens bei den nachgestellten Penetrationen zu hören sind, eigentlich Aufnahmen seiner eigenen Flatulenzen sind. Siehe Waters, op. cit., S. 200.
[17] Idem, S. 202. Einer der wichtigsten und bekanntesten Filme Meyers, Vixen, ist außerdem definitiv ein erotischer Film, in dem Sex offensichtlich dargestellt wird, damit der Zuschauer erregt wird. Jameson formuliert das folgendermaßen aus: „In terms of any conventional approach to screen eroticism, Meyer’s movies are almost definitively antierotic. But then again, they aren’t at all. For eroticism is inseparable from joy […]. Meyer mocks sex, its icons, our obsession with it, and his own cheerfully exploitative relation to it; but his mocking is celebratory, not negativistic“ (in Jameson, op. cit., S. 29).
[18] Aus Ives, op. cit., S. 85.
[19] Aus Waters, op. cit., S. 182.
[20] Aus Thissen, op. cit., S. 236.
[21] Idem, S. 234. Das restliche Interview hat einen genauso wenig ironischen Ton wie dieser Teil und wird von Thissen (auf typisch unkritische Art und Weise) ohne Kommentar wiedergegeben, weswegen ich in dieser Arbeit davon ausgehe, dass Meyer wirklich dieser –ohnehin weit verbreiteten– Meinung war.
[22] Eine solche Schlussfolgerung zu ziehen wäre übrigens damit gleichzusetzen, die extreme Variante der oben kurz besprochenen politique des auteurs zu vertreten.
[23] An dieser Stelle sei nur noch einmal darauf hingewiesen, ohne verallgemeinern zu wollen, dass die Frauen der Filme Meyers in der Regel „Überfrauen“ sind, die den männlichen Protagonisten in jeder Hinsicht überlegen sind. Sie sind sich auch ihrer sexuellen Macht bewusst und setzen sie dementsprechend ein. Männer werden oft als dumm oder animalisch gewalttätig oder beides dargestellt und sind selten diejenigen, die die Geschichten der Filme sozusagen voranbringen. Ob dieser Rahmen ein optimales Vehikel für ausschließlich frauenfeindliche Inhalte bietet, ist meiner Meinung nach fraglich, wobei (wie im Text schon geschrieben) es wichtig ist zu verstehen, dass das Werk Meyers kein Monolith ist, sondern ein Korpus unterschiedlicher Filme, die näher betrachtet werden müssen, um zu einer ausdifferenzierten (und nicht dogmatischen) Beantwortung dieses Fragenkomplexes kommen zu können.
[24] Quarles, op. cit., S. 46.
[25] Es ist in der Tat schwer, den Inhalt dieses Films zu verteidigen (im Unterschied zu seiner Ästhetik, denn er ist bei weitem der schönste Film, den Meyer bis zu diesem Zeitpunkt gedreht hatte), aber es sollte nicht vergessen werden, dass das Motiv der Vergewaltigung mit anschließender Romanze ein altes, fast klassisches, ist, womit ich nur meine, dass es von Russ Meyer weder erfunden noch besonders chauvinistisch reformuliert wurde. Es ist außerdem nicht jedes Mal, wo es auftaucht, sofort als „frauenfeindlich“ zu brandmarken: Man denke an den post-feministischen Roman Les chiennes savantes von Virginie Despentes, der mit genau dem gleichen Motiv arbeitet, um Machtverhältnisse, die sich nicht auf die leichte Formel „Mann=Macht/Frau=Ohnmacht“ reduzieren lassen, sichtbar zu machen.
[26] Thissen behauptet, dass Meyer sich gerade gegen diese Vergewaltigung entschied, weil er seine Zuschauer in den Südstaaten der USA nicht unnötig scheuchen wollte. Siehe Thissen, op. cit., S. 152.
[27] Diese Szene wird in Meyers Up! fast eins zu eins nachgestellt, was eine alte (und leider letztlich unbelegbare) These von mir stützen würde, nämlich dass nicht nur Waters von Meyer beeinflusst wurde, sondern dieser Letztere auch, gerade in seinen späteren Filmen, viel von Waters übernahm.
[28] Frasier, op. cit., S. 20.
[29] Der Einfluss Waters’ auf das spätere Werk Meyers ist meines Erachtens unbestreitbar, insbesondere im Fall von Up! (die „Monster“ dieses Films erinnern wegen ihrer Perversität durchaus an die „terrorist drag-queen“ Divine in Multiple Maniacs oder Pink Flamingos), aber diese überzogenen Teile des Films können womöglich auch als Huldigung vor bzw. Parodie auf Tobe Hoppers Film The Texas Chainsaw Massacre (1974) gelesen werden.
- Verzeichnis der benutzten Literatur
Artikel und Aufsätze
- Jameson, Richard T., „Up!“ (Rezension), in Keough, Peter (Hrsg.), Flesh and Blood – The National Society of Film Critics on Sex, Violence, and Censorship, San Francisco 1995, S. 28-30.
- Polan, Dana, “The Confusions of Warren Beatty”, in Lewis, Jon, The End of Cinema as We Know It – American Film in the Nineties, New York 2001, S. 141-149.
- Rutsky, R. L., „Being Keanu“, in Lewis, Jon, The End of Cinema as We Know It – American Film in the Nineties, New York 2001, S. 185-194
- Travers, Peters, „Serial Mom“ (Rezension), in Keough, Peter (Hrsg.), Flesh and Blood – The National Society of Film Critics on Sex, Violence, and Censorship, San Francisco 1995, S. 100-102.
- Watson, Paul, „There’s No Accounting for Taste: Exploitation Cinema and the Limits of Film Theory“, in Cartmell, Deborah; Hunter, I. Q.; Kaye, Heidi; und Whelehan, Imelda (Hrsg.), Trash Aesthetics – Popular Culture and its Audience, London 1997, S. 66-83.
Bücher
- Cartmell, Deborah; Hunter, I. Q.; Kaye, Heidi; und Whelehan, Imelda (Hrsg.), Trash Aesthetics – Popular Culture and its Audience, London 1997.
- Frasier, David K., Russ Meyer – The Life and Films – A Biography and a Comprehensive, Illustrated and Annotated Filmography and Bibliography, Jefferson 1990.
- Hoberman, J. und Rosenbaum, Jonathan, Midnight Movies, New York 1991 (1. Auflage 1983).
- Ives, John G., John Waters, New York 1992.
- Keough, Peter (Hrsg.), Flesh and Blood – The National Society of Film Critics on Sex, Violence, and Censorship, San Francisco 1995.
- Levy, Emanuel, Cinema of Outsiders – The Rise of American Independent Film, New York 1999.
- Lewis, Jon (Hrsg.), The End of Cinema as We Know It – American Film in the Nineties, New York 2001.
- McDonagh, Maitland, Broken Mirrors/Broken Minds – The Dark Dreams of Dario Argento, London 1991.
- Merrit, Greg, Celluloid Mavericks – A History of American Independent Film, New York 2000.
- Quarles, Mike, Down and Dirty – Hollywood’s Exploitation Filmmakers and Their Movies, Jefferson 1993.
- Schaefer, Eric, Bold! Daring! Shocking! True! – A History of Exploitation Films, 1919-1959, Durham 1999.
- Stam, Robert; Burgoyne, Robert und Flitterman-Lewis, Sandy (Hrsg.), New Vocabularies in Film Semiotics – Structuralism, Post-structuralism and Beyond, New York 1992.
- Stevenson, Jack, Desperate Visions – The Films of John Waters & the Kuchar Brothers, New York 1996.
- Thissen, Rolf, Russ Meyer – Der König des Sexfilms, München 1985.
- Waters, John, Shock Value – A Tasteful Book About Bad Taste, New York 1991.
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