Die Pest und der Aufstieg Moskaus

  1. Einleitung

 

In seinem Roman Conversación en la Catedral stellte Mario Vargas Llosa 1969 eine Frage, die seitdem symbolisch für die Ohnmacht des lateinamerikanischen Intellektuellen[1] gegenüber der historischen „Entwicklung“ seines Subkontinents bleiben sollte: „¿En qué momento se jodió el Perú?“ („In welchem Moment ist Peru zur Hölle gegangen?“) Eine ähnliche Frage wird nicht selten von den Wissenschaftlern, die die Geschichte Altrusslands zur Zeit des westeuropäischen Spätmittelalters[2] erforschen, in ihren Schriften implizit behandelt. Die Formulierung ist dann freilich ganz anders, der Sinn der Sache ändert sich aber wenig: In welchem historischen Moment (und dabei muss man „Moment“ als etwas mehr als eine bloße zeitliche Eingrenzung verstehen) entstand die charakteristische russische Autokratie und warum? Wie kam es dazu, dass eine solche politische Struktur, die an sich schon eine kristallisierte Überspitzung war, sich etablieren konnte und relativ stabil und unverändert über Jahrhunderte in einem ansonsten sich ständig wandelndes Land als eine immer anachronistischere und dennoch mächtige Institution bis 1917[3] bestehen konnte? Wo sind die Wurzeln dieser unwahrscheinlich schweren historischen Last Russlands, deren Schatten es –auf Umwegen– geschafft haben, noch in unserer Zeit gegenwärtig zu sein? Mit anderen Worten: In welchem Moment ist Russland zur Hölle gegangen?

Man kommt nicht umhin, mehr oder weniger definitive Antworten auf diese Fragen zu geben, wenn man sich mit dem Aufstieg Moskaus und der Konsolidierung eines zentralisierten russischen „Nationalstaates“[4] zwischen dem 15. und dem 16. Jahrhundert auseinandersetzt, da die Autokratie sowohl in ihrer Entstehungsphase eine gewisse Basis für diesen Prozess darstellte als auch später wiederum, als vollkommene Institution, zweifelsohne eines seiner herausragendsten Ergebnisse war. Antworten sind auch nicht zuletzt deshalb fällig, weil die Autokratie als die entscheidende „Eigenschaft“ wahrgenommen wird, die die russische Geschichte von der Geschichte „Westeuropas“ unterscheiden soll[5], abgesehen von der Religion. Jedenfalls unterscheiden sich diese beide „Geschichten“ durch dieses „typisch russische“ politische System so sehr, dass viele Historiker seine Ursachen bei dem besonderen Kontakt Altrusslands mit Byzanz und dem Mongolischen Reich gesucht haben – bei den Einflüssen also, die Russland von Westeuropa angeblich fernhielten und die den damaligen diversen westeuropäischen Völkern und politischen Gebilden aus geographischen und militärischen Gründen sicherlich „erspart“ blieben.

Die meisten –und in der Regel alle „westeuropäischen“ – Forscher beschreiben diese Einflüsse als letztlich katastrophal[6]. Das Spektrum reicht hierbei von Irene Neander, die sich darüber freut, dass trotz der vermeintlichen Übernahme des Despotismus „das Licht des christlichen Glaubens […] in dieser ‚kulturlosen‘ [!] Zeit [des „Tatarenjochs“] nicht erloschen“ ist und dass „von einer blutsmäßigen Mongolisierung des russischen Volkes […] eigentlich nicht gesprochen werden [kann]“ (wenn auch „das Ergebnis dieser Blutmischungen […] keineswegs immer negativ gewesen“ ist – „der europäischste unter den russischen Dichtern, Alexander Puškin“, war ja schließlich „der Urenkel eines Negers oder Äthiopiers“![7]); über Diehl, für den das zaristische Russland bis Anfang des 20. Jahrhunderts „the continuator and most faithful likeness of the vanished Byzantine Empire, in its aristocratic despotism, its Orthodoxy, its unflexible diplomacy, and its conviction of having a religious and political mission to accomplish in the world“ war[8]; bis hin zu Marx, der aus einer klassenanalytischen (und deshalb diesen anderen Forschern entgegengesetzter) Perspektive folgende Zeilen schrieb: „Kurz: Moskau ist in der scheußlichen und erbärmlichen Schule mongolischer Sklaverei aufgewachsen und großgezogen worden. Seine Stärke erwarb es nur dadurch, dass es in den Künsten des Sklaventums zum Virtuosen wurde“[9]. Gemeinsamer Nenner der dieser Strömung zugehörigen Autoren bleibt also (trotz der enormen Kluften, die zwischen ihnen liegen) die Setzung des Schwerpunkts auf die äußerlichen Einflüssen bei der Erörterung der Ursachen der Autokratie.

Es gibt freilich auch Stimmen, die der inneren Entwicklung Altrusslands mehr Aufmerksamkeit schenken. Vielleicht ist Phillips Auflistung der „Gründe für die Eigentümlichkeit der Adelsentwicklung in Altrußland“ eine gute Zusammenfassung des jetzigen Stands dieser Tendenz der Forschung, und –als solche– würdig, hier mehr oder weniger in extenso zitiert zu werden: „1. eine Adelsschicht bildet sich in der Frühzeit nur als nicht abgeschlossene fürstliche Gefolgschaft; 2. der Landreichtum erlaubt Landvergabe als Allod ohne Verknüpfung mit Dienst; 3. der freie Diensttuer ist durch Allodbesitz ökonomisch gesichert, politisch durch die Möglichkeit der Dienstwahl zwischen zahlreichen gleichrangigen Souveränen; 4. die Vereinigung der fürstlichen Souveranitäten in der moskauischen Herrschaft verwandelt den freien Diensttuer zum Dienstpflichtigen, und sein Allod wird allmählich Dienstvoraussetzung, im Laufe der Zeit dem pomest’e angeglichen; 5. ein Widerstandsrecht fehlt. Diese Umstände [zusammen mit der Weiträumigkeit des Moskauer Reiches, der ja schon beim Punkt 2 eine Rolle zugesprochen wurde] haben die sozialpolitische Entwicklung aus einer Gefolgschaftsordnung nicht zu einer feudal-ständischen Ordnung, sondern zu einer allodial-individualen und schließlich zu einer Dienstklassenordnung geführt“[10].

Das Problem bei dieser Auflistung, so hilfreich sie auch sein mag, scheint ein zweifaches zu sein: erstens kann man bei allen Punkten, und besonders beim Punkt 1, gleich nachfragen: „und warum?“ – man kann diese Liste also nicht wirklich als die Liste der „Gründe“ bezeichnen, sondern höchstens als einen graduellen (und in diesem Fall eher scheuen) Annäherungsversuch an diese „Gründe“ (was aber eben das Problem der Geschichtswissenschaft und insofern dem Verfasser dieser Auflistung nicht unbedingt vorzuwerfen ist); und zweitens bleiben die aufgeführten „Gründe“ teilweise (vor allem beim Punkt 5), der Erwähnung der ökonomischen Verhältnisse zum Trotz, auf der Ebene des (im marxschen Sinne) Überbaus der Gesellschaft, genauer gesagt auf der Ebene der Politik und der Philosophie. In der Tat ist dieses zweifache Problem ein einziges: da die Entstehung der Autokratie und die politische und (fehlende) philosophische Entwicklung Altrusslands, wie alle historische Phänomene und Institutionen, materielle Grundlagen haben, die aber von den Forschern (aus welchem Grund auch immer) selten oder nur unvollständig wahrgenommen werden, bleiben die Spekulationen über die Ursachen und die genaue Entstehungsprozesse des Überbaus der damaligen Gesellschaft bestenfalls nützliche Überlegungen, die bei der Verfassung einer „wahren“ Geschichte des Urmomentes der russischen „Tragödie“ helfen werden, an und für sich aber nicht umfassend genug sein können. Da fehlt einfach etwas.

Was da fehlt ist zum Teil sicherlich eine weniger dürftige Quellenlage als die, mit der die an Altrussland interessierten Mediävisten konfrontiert sind. Meines Erachtens fehlt aber auch noch der Wille, die Geschichte Russlands –wie es für die Westeuropas trotz aller Versuche, die materialistische Geschichtsinterpretation zu deformieren, zu relativieren oder totzusagen, eigentlich selbstverständlich ist– mit einer Betonung der Multikausalität, der Gleichzeitigkeit verschiedener sogenannter Diskurse und der relativen historischen Unabhängigkeit der diversen Sphären des Überbaus (Politik, Recht, Religion, Philosophie, Kunst und Literatur usw.) zu untersuchen, ohne aber die entscheidende Rolle der ökonomischen Voraussetzungen zu vergessen. Und zwar nicht als „Ursache, allein aktiv“, sondern als die sich stets durch ihre „Wechselwirkung“ mit dem Überbau verändernde „Basis“, deren aus dieser Interaktion entstandene Entwicklung sich aber „in letzter Instanz“ durchsetzt und den „allein zum Verständnis [der Geschichte] führenden roten Faden“ bildet[11].

Ich habe bewusst über „Wille“ gesprochen, weil es sehr auffällig ist, dass einige der Ergebnisse der Überlegungen Gustave Alefs über dieses Thema, die in Form eines oben schon zitierten Aufsatzes[12], der Teil eines vermeintlichen Standardwerkes ist, erschienen sind, in der nachfolgenden Forschung flächendeckend ignoriert wurden und heute noch ignoriert werden. Allerdings lautet die Hauptthese des Aufsatzes: „An important, possibly a key, element contributing to the rapid evolution of a strong Muscovite monarchy was the absence of serious opposition by the aristocracy. By the fifteenth century, at the very time the grand princes moved to consolidate their power, the East Russian nobles concerned themselves primarily with their economic well being, with social privileges and with vying for state positions they considered in keeping with their aristocratic station. Unlike their counterparts in neighbouring Lithuania, they could not force conditions upon the ruling prince; the aristocracy in East Russia came largely as petitioners, seeking employment commensurate with their social station or their previous political importance“[13].

Und obwohl diese These durchaus wahrgenommen wird und im Grunde genommen öfters erwähnt wird, da sie mittler-weile als unwiderlegbar gelten kann, wird ein Zusammenhang, der von Alef hypothetisch als einen wesentlichen Grund dieser Ohnmacht der russischen „Aristokratie“ vorgeschlagen wurde, nämlich die ökonomischen und demographischen Auswirkungen der Wellen der Pest im 14. und 15. Jahrhundert in Altrussland, nach meinen Kenntnissen nirgendwo sonst auf-gegriffen und weitergeführt[14]. Mehr noch: Ansätze einer Geschichte der Pest in Russland gibt es im westeuropäischen Raum[15], und seien es wenigstens Übersetzungen, anscheinend nicht. Was für Westeuropa als mehr oder weniger selbstverständlich gilt, nämlich dass „das große Sterben“ große Auswirkungen auf die Entwicklung der Gesellschaften, die sie dezimierte, haben musste (und auch wenn der Wichtigkeitsgrad dieser Auswirkungen sowie die spekulativen Szenarios einer Welt ohne Pest noch alles andere als unumstritten sind[16]), ist dies etwas, worüber im Fall Russlands nicht einmal marginal nachgedacht wird. Einfacher ist es eben auf das Fehlen eines Widerstandsrechts, auf die unglaubliche Größe des Landes (ein materieller Faktor übrigens, der aber selten als solcher durchdacht wird), auf die im besten Fall mangelhafter Rezeption antiken Gedankenguts und auf andere gern zitierte, aber nicht immer überzeugende „Ursachen“ der russischen „Tragödie“ aufmerksam zu machen…

Mein Ziel ist deshalb, die oben eingeführte Hypothese Alefs hier vorzustellen und auf den Verlauf und die Folgen der Pest und ihren Zusammenhang mit dem Aufstieg Moskaus, und spezifischer des Moskauer Herrschers, einzugehen, wozu ich mich hauptsächlich auf Sekundärliteratur beziehen, gelegentlich aber auch Quellen heranziehen werde. Wenn es nicht meine Aufgabe ist oder sein kann, im Rahmen eines Hauptseminars neue Erkenntnisse über die Entstehung der altrussischen Autokratie zu gewinnen, hoffe ich dennoch, dass etwas Licht auf eine zu Unrecht verschwiegene Erklärung dieses Phänomens zu richten, helfen kann, der Sache näher zu kommen – obgleich die tatsächliche Arbeit schon von Alef geleistet wurde.

 

  1. Die Pest in Altrussland im 14. und 15. Jahrhundert

 

Obwohl nicht mit voller Genauigkeit festgestellt werden kann, woher die Pest ursprünglich kam, die zwischen den Jahren 1348 und 1352 auf die den damaligen europäischen Zivilisationen bekannten Welt mit einer Wut einbrach, die in der Geschichte der Menschheit –trotz des unbewussten bakteriologischen Krieges, der von den conquistadores in Amerika geführt wurde und bei dem Millionen Indianer ihr Leben verloren– ihresgleichen sucht, ist es sehr wahrscheinlich, dass entweder der Kaukasus oder das Gebiet des Balchaschsees den Ausgangsherd darstellte[17]. Genuesische Händler, die Handelsbeziehungen am Schwarzen Meer und insbesondere eine (1346 von den Tataren belagerte) Niederlassung in Kaffa auf der Krim hatten, sollen dann die Seuche dort am Ende jenes Jahres bekommen und mit an das Mittelmeer geschleppt haben[18] – über Byzanz, den arabischen Raum und Ägypten (Gebiete, an denen die Pest aber möglicherweise schon früher angekommen war) nach Italien, wo sie dann ab Ende 1347 ihren Weg in praktisch alle Ecken Europas fand.

Wie Alef schreibt, „the great fourteenth century pandemic that played such havoc in Western Europe was not stopped by some eastern iron curtain“[19]. Die Pest scheint ja sogar zwischen dem 6. Jahrhundert (das Jahrhundert, in dem die „Pest des Justinian“[20] ausbrach) und dem 14. Jahrhundert, anders als Westeuropa, die russischen Gebiete nie wirklich verlassen zu haben und blieb deshalb stets eine ständige, endemische Bedrohung für die russische Bevölkerung[21]. Die Welle, die Mitte des 14. Jahrhunderts Altrussland heimsuchte, war aber die verheerendste, die das Land seit Jahrhunderten erlebt hatte und je erleben würde. Die Forschung geht in der Regel davon aus, dass die Pest 1352 eintraf, und zwar nicht aus dem Süden von den Mongolen eingeschleppt wurde, sondern aus dem Nordwesten kam, nachdem sie in Westeuropa „die ganze Runde“ gemacht hatte, durch Pskov und Nowgorod[22], wo so viele Menschen im oben erwähnten Jahr an der Krankheit starben, dass Massengräber gebaut werden mussten, wie in vielen Städten Westeuropas. Nach Nowgorod und Pskov fiel eine Stadt nach der anderen des Riesenlandes der Pest zum Opfer: Kiev, Suzdal – selbst das abgelegene Beloozero wurde mit derartiger Heftigkeit getroffen, dass die ganze Stadt umgesiedelt werden musste. In Glukhov scheint es keine Überlebenden gegeben zu haben[23].

1353 erreichte die Pest Moskau. Wie überall sonst respektierte sie dort keine soziale Klasse[24]: genauso wie im Fall des Erzbischofs Nowgorods erlag ihr nicht nur der Träger des damals seit etwas mehr als zwanzig Jahren in der heutigen Hauptstadt Russlands residierenden Amtes des Metropolits, Feognost, sondern so gut wie die ganze Familie des Moskauer Großfürsten, einschließlich des Großfürsten höchstpersönlich. Sein Testament, geschrieben mitten in dieser „ersten“ Pestwelle, ist eine wichtige Quelle für die Forscher der politischen Geschichte dieser Periode, und ohne Zweifel eine überaus wichtige für das Thema, mit dem sich diese Hausarbeit beschäftigt, denn es gibt leider kaum andere Chroniken oder schriftlichen Überreste aus der Zeit, die uns näheres über das Leben (und Sterben) in Moskau während dieser Pestzeit überliefern könnten. Umso wichtiger ist dann dieses Testament, auf dem der Großfürst Semen Ivanovich, nachdem er seine einzigen zwei Söhne und seinen Bruder Andrei schon verloren hatte, schrieb: „And so, I write this to you so that the memory of us may not die and so the candle [of our family] may not go out“[25]. Die Großfürstenwürde ging auf Ivan über, dem einzigen Bruder Semens, der diese Krankheit überlebte. Aber, wie das Testament bezeugt, war es alles andere als sicher, ob diese Würde, auf der die späteren Herrschaftsansprüche der Moskauer Herrscher über die Teilfürsten anderer russischen Gebieten basierten, bei der Familie bleiben würde: es war einfach damit zu rechnen, dass die ganze Dynastie möglicherweise der Pest zum Opfer fällt.

Panische Reaktionen wurden in Russland durch die Pest ebenso wie in Westeuropa ausgelöst[26], und viele (hauptsächlich Reiche) suchten Flucht in den nördlichen Territorien, was den Prozess der Kolonisierung ländlicher Gebieten sicherlich förderte[27]. Religiöse „Erklärungen“ wurden schnell gefunden und verbreitet; Prozessionen, die den „Zorn Gottes“ von der Menschheit abzuwenden versuchten, fanden vermehrt statt (der Erzbischof von Nowgorod starb sogar anscheinend als Folge seiner Teilnahme an einer solchen Prozession in Pskov); „Not“-Kirchen wurden schnellstens gebaut[28]. Da Altrussland keine bedeutende jüdische Gemeinde hatte, die mit denen Deutschlands oder Frankreichs verglichen werden könnte, gab es dort keine Pogrome, die spezifisch als „Rache“- oder „Präventions“-Taten für oder gegen die vermeintliche, und nicht selten von den lokalen Diözesen des Westens miterfundene, „Verschwörung“ der Juden gegen die christliche Bevölkerung verkauft werden konnten[29]. Die Beschuldigung der Tataren wurde dafür die durchgängige „Erklärung“ der Epidemie (pogromartige Aktionen gegen sie blieben aber aufgrund der damals noch herrschenden Kräfteverhältnisse verständlicherweise aus), die Verfolgung von „Zauberern“ und „Hexen“ nahm aber auch nachweislich zu[30]. Es ist nicht auszuschliessen, dass, wie Dinges es nennt, die „Geschichte der Denunziation“ und ihr systematischer Einsatz „zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ in Russland auch, wie im Westen, „in der Frühzeit der Pestbekämpfung“ ihren Beginn hatte[31]. Die Quellen sind leider sehr spärlich, und entsprechend inexistent ist die sekundäre Literatur zu diesem Thema, so dass ich diese Frage (genauso wie die, ob die Armen auch in Russland durchgehend und in der Tat immer bewusster als Hauptinfektionsvektor der Epidemie gesehen wurden, und als solche als eine Gruppe, der „man anschließend mehr zumuten konnte und deren Verhalten gleichzeitig als warnendes Beispiel gegen jede Abweichung vom moralpolitisch erwünschten Weg dienen konnte“[32]) deshalb offen lassen muss. Wichtig ist mir, festzuhalten, wie traumatisch diese Pestwelle auch im altrussischen Raum war, und wie sehr sie soziale Verhältnisse entscheidend beeinflussen haben muss.

Das wäre selbst dann wahr, wenn diese Pestwelle die einzige nennenswerte gewesen wäre, die Russland zu dieser Zeit erlebt hätte. Im Gegensatz dazu kam aber die Pest immer wieder mit nur leicht verminderter Kraft zu den russischen Gebieten, wenn auch manchmal ohne den geographisch umfassenden Charakter der Epidemie der Mitte des 14. Jahrhunderts: Alef schreibt von Wellen in den Jahren 1364-66, 1386, 1408, 1417, 1425, 1448 und 1478 (diese letzte traf nur Nowgorod)[33]; Alexander spricht auch von Epidemien in den Jahren 1369-70, 1387-90, 1401 (Smolensk), 1403-04/1406-07 (Pskov) und kontinuierlich zwischen 1417 und 1428, sowie davon, dass Typhus und Influenza in dieser historischen Periode auch besonders häufig vorkamen und sich vielleicht sogar mit der Pest „alternierten“ (denn die Pest ist eine Krankheit des Sommers, während die anderen beiden eher im Winter auftreten)[34]. Erst danach, am Ende des 15. Jahrhunderts, und auf durchaus interessante Weise mehr oder weniger zeitgleich zum großen Aufstieg Moskaus unter der Herrschaft Ivan III. (des Großen) und zur Konsolidierung der harten Monarchie, die ohne Zweifel die Säule der Autokratie, wenn nicht schon die Autokratie selbst, bildete, begann die Seuche wirklich nachzugeben.

Welcher Anteil der damaligen Bevölkerung bis dahin an der Pest starb, ist leider nur spekulativ zu beantworten. Wie Alef schreibt, „the effects of the century-long devastation cannot be measured by the available sources“, denn zu dieser Zeit „Moscow still lacked the tax rolls and hearth counts by which population change in town and country can be gauged“[35], wo doch die Existenz solcher Dokumente in Westeuropa eben erst ermöglicht hatte, mehr oder weniger vertrauenswürdige Studien der demographischen Bewegungen in diesem Kontinent zu den Zeiten der mittelalterlichen Pest durchzuführen. Allerdings gehen die Forscher in diesen Studien mehrheitlich davon aus, dass infolge der Epidemie des 14. Jahrhunderts nicht weniger als ein Drittel der Bevölkerung des Abendlandes starb. Einige Autoren, wie Renggli, finden diese Zahl sogar zu niedrig[36]; Herlihy behauptet gar, dass Europa „um 1420 […] kaum mehr als ein Drittel der Menschen gezählt haben [kann], die es noch hundert Jahre früher bewohnten“[37].

Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass die demographischen Auswirkungen der Pest in Russland wesentlich weniger verheerend waren als im Westen[38]. Sucht man in Genealogien adliger Familien und ähnlichen Quellen, die unter Umständen etwas über die Bevölkerungs-entwicklung aussagen können, wird man nach Alef bemerken, dass am Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts die Anzahl der Männer[39], die keine Kinder hatten, im Vergleich zu der früherer Zeiten und zu der Ende des 15. Jahrhunderts (der Zeit also, als die Pest langsam begann, in größeren Teilen des Landes zu verschwinden) ziemlich hoch gewesen ist[40]. Obwohl es aufgrund der von den Quellen überlieferten Informationen schlicht unmöglich ist, festzustellen, ob diese erblosen Männer keine Kinder gehabt hatten, weil sie zu jung gestorben sind, oder ihre Kinder verloren haben, oder einfach wirklich keine Kinder hatten, kann diese laut Alef auffällig hohe Rate Adliger ohne Familie im Groben die These unterstützen, dass die Dezimierung der Bevölkerung durch die Pest im Russland des 14. Jahrhunderts tatsächlich gewaltig war. Und aus dieser Tatsache entspringen gewisse soziale Verhältnisse, aus denen Verhaltensweisen folgten, die im nächsten Abschnitt behandelt werden, und die möglicherweise eine Basis für die Entstehung der Autokratie darstellten.

 

  1. Der Zusammenhang zwischen Pest und Autokratie: die Hypothese Alefs

 

Ivan Semenovich Moroz, ein Moskauer Adliger, lebte während der Mitte des 14. Jahrhunderts und hatte sechs Kinder. Ein Jahrhundert später, in der Mitte des 15. Jahrhunderts, gab es in seiner Familie aber nur acht Männer, die von dreien dieser ursprünglichen sechs Kinder abstammten. Die anderen drei sind den Quellen nach erblos geblieben. Erst danach stieg die Wachstumsrate dieser Familie wieder deutlich an, so dass es schon am Ende des 15. Jahrhunderts achtzehn Männer gab, die den Namen Moroz trugen.

Eine ähnliche Kurve ist auch bei vielen anderen Familien aus verschiedenen russischen Städte feststellbar[41]. Während keine Angaben zum Verlauf der demographischen Entwicklung bei den weniger oder gar nicht privilegierten Schichten bekannt sind (wenn man auch davon ausgehen kann, dass sie nicht wesentlich besser ausgesehen hat), sind für das Thema dieser Hausarbeit Informationen und Zahlen aus den Reihen der Aristokratie, wie die oben erwähnten, besonders relevant, da sie ja letztlich diejenige soziale Klasse war, die der entstehenden Autokratie keine Opposition leistete, obwohl sie am ehesten dazu in der Lage gewesen wäre. Sie wurde aber durch den Schwarzen Tod dermaßen dezimiert, dass die wohl bekannten Folgen des traditionellen russischen Erbschaftsrechts (die Zersplitterung des Territoriums[42] und die Verarmung en masse der Adliger) ein ganzes Jahrhundert ausblieben – es gab einfach zu wenige Söhne, die überlebten, so dass die wenigen, die dies schafften, eher mehr Land als ihre unmittelbaren Vorfahren hatten, oder wenigstens die Perspektive hatten, durch die anhaltende starke Sterblichkeit auch weniger Konkurrenten und somit mehr Land zur Verfügung zu haben. Die Pest stellte also nach dem ersten Schrecken[43] die Überlebenden unter den Adligen aus rein wirtschaftlicher Sicht in eine gar nicht so unbequeme Position[44], was der Meinung Alefs nach erklären kann, dass sie sich in der Mehrheit nicht gezwungen sahen, und es nicht mal für günstig hielten, sich einem anderen Teilfürsten unterzuordnen.

Diese Unabhängigkeit war nur möglich, so lange das von der Epidemie verursachte Massensterben bedeutender war, als das Wachstum der Bevölkerung. Wie die oben erwähnten Genealogien belegen, kehrte sich diese Tendenz am Ende des 15. Jahrhundert um. Bald mussten sich die neuen Aristokraten, deren Erbgüter bei Aufteilungen unter einer immer größeren Anzahl von Erbberechtigten nicht ausreichten, um ein ihrer Position angemessenes Leben zu führen, im Dienst eines einflussreichen Teilfürsten stellen, wenn sie nicht in die vollkommene Verelendung fallen wollten.

Das im russischen Raum traditionsreiche Abzugsrecht, das den Dienstmannen eines Fürsten erlaubte, diesen Fürsten zu verlassen, ohne gleichzeitig Eigentümer oder Grundboden an ihn zu verlieren, und das damals noch formell die Regel war, machte vielen Adligen diese Entscheidung sicherlich leichter – auch wenn es zu der hier behandelten Zeit in der Praxis dahingehend eingeschränkt war, ein Abzugsrecht gen Moskau zu sein, das im Falle aber eines Versuches, in die umgekehrte Richtung abzuziehen, vom Moskauer Großfürsten nicht selten auf brutalste Weise bestraft wurde.

Das paradigmatische Beispiel ist dabei das des Ivan Dmitrievich Vsevolozhskiis, ein vornehmer aber nicht titulierter Bojar aus Moskau, der bei der Goldenen Horde wichtige diplomatische Erfolge für Moskau erzielt hatte und dafür seine Tochter mit dem Großfürsten Vasilii II vermählt sehen wollte. Als er das trotz der Zusage Vasiliis nicht schaffte, weil die Mutter des russischen Herrschers ihr Veto gelten ließ, zog Ivan Dmitrievich nach Galizien und unterstützte dort Jurij bei seinem Versuch, Vasilii aus dem Thron zu jagen und selbst Herrscher Moskaus zu werden. Ivan Dmitrievich musste diese Entscheidung erstens mit der Konfiszierung aller seiner Eigentümer bezahlen, und später, als dieses Ereignis der „Brüderkriege“ des 15. Jahrhunderts in der Niederlage der Rebellen endete, wurde er sogar von Vasiliis Männern mit der Verblendung bestraft[45].

Die Brüderkriege, die 1425 als eine innerdynastische Angelegenheit anfingen, bald aber die ganze Entwicklung der russischen Teilfürstentümer entscheidend bestimmen würden, schafften durch ihre blutige Dynamik soziale Verhältnisse, in denen das Abzugsrecht der Bojaren in der Praxis nicht nur in Ausnahmefällen, wie dem des Ivan Dmitrievichs, abgeschafft werden konnte, sondern überhaupt immer, wenn der Herrscher einer der beiden Seiten dieses Vorgehen für nötig hielt, um mögliche Deserteure oder gar potenzielle Gegner abzuschrecken und einzuschüchtern. Da die Linie derjenigen am Ende siegte, die für eine zentrale und indiskutable Stellung des Erstgeborenen der Dynastie standen, stellten diese Kriege also einen Bruch in der Geschichte der Beziehungen zwischen den Bojaren und Teilfürsten und dem Großfürsten Moskaus dar – seine Position als einzig berechtigter Erbfolger war gegenüber der seiner Brüder und aller Zweige der Familie legitimiert worden[46], und seine Macht war tatsächlich durch den Sieg ins Unermessbare gestiegen. Die Präzedenzfälle autokratischer Willkür, die aus der brutalen Dynamik der Kriege entsprungen waren, hatten sich über die Jahre so angehäuft, dass sie am Ende dieser Kriege die neue, ungeschriebene Regel waren. Das Eigentum und das Leben der Bojaren und der Teilfürsten waren nicht mehr unantastbar; das Abzugsrecht war faktisch abgeschafft worden[47]; jeder Versuch, eine auch nur teilweise unabhängige Position dem Großfürsten gegenüber für sich zu erhalten, konnte leicht als Verrat angesehen werden, und entsprechend physische Konsequenzen mit sich bringen. Diejenigen, die auf der „falschen“ Seite gewesen waren, wurden entweder auf außerordentlich grausame Art und Weise dafür bestraft oder eben dadurch stärker an den Großfürsten Moskaus gebunden, dass sie ihm öffentlich ewige Treue und ewigen Dienst schwören mussten (beides Konzepte, die es bisher im russischen Raum nicht gab), wenn sie nicht das Schicksal der Bestraften teilen wollten.

Dieser eindeutige Machtzuwachs des Moskauer Herrschers[48] kam zu einer Zeit, in der, wie oben schon erläutert wurde, die demographische Kurve in Russland sich nach den schlimmsten Pestwellen zu erholen begann. Immer mehr Männer der adligen Familien mussten sich an einen Teilfürsten als Dienstmannen wenden, und nach den Brüderkriegen, die zudem auch zur Annektierung Galiziens und anderen „untreuen“ Gebieten durch den Großfürsten führten und somit die wahrhaft explosive Expansion des Moskauer Reiches im 15. Jahrhundert erst möglich machten, war der Dienst nur unter der Herrschaft des Großfürsten denkbar, denn was anderes war wohl weniger zukunftsreich[49] oder konnte sogar leicht als offene Kampfhandlung oder als Verrat gegen Moskau verurteilt und unter Umständen entsprechend bestraft werden.

Der Herrscher, sei es Vasilii oder Ivan III.[50], verstand es, die verschiedenen Schichten der Gesellschaft gegeneinander zu stellen, um seine Machtposition zu festigen und weiter auszubauen. Während des Großen Sterbens brauchte so gut wie kein Adliger, Dienstmann zu werden und sich dadurch zu degradieren; reiche Bojaren, in deren Adern kein fürstliches Blut floss, hatten aber keine solchen Bedenken und besetzten prompt die einflussreichsten Positionen bei der Verwaltung des damals entstehenden russischen Protostaats (der oben genannte Ivan Dmitrievich Vsevolozhskii ist ein gutes Beispiel einer solchen wichtigen Person aus nicht adligen Verhältnissen, auch wenn er später in seinem Leben in Ungnade fiel). Als die Lage sich am Ende des 15. Jahrhunderts änderte, hatte der Großfürst es einfacher, die titulierten Adligen herabzusetzen und sie zur ewigen Treue zu zwingen, da er ihre Positionen und Ämter sonst problemlos mit reichen Bojaren besetzen konnte, deren untergeordnete Rolle nicht erstmals gegen die Tradition erkämpft werden musste, da sie ja von vornherein Untertanen waren[51].

Der Moskauer Herrscher nützte auch geschickt die Möglichkeiten aus, die die Kontrolle über scheinbar unendliche Territorien anbot. So ließ Ivan III. zum Beispiel, um den Wider-stand der Besiegten in Nowgorod nach der Eroberung der Stadt durch Moskau (1488/89) zu brechen, die Adligen und Bojaren jenes Gebiets entweder umbringen oder enteignen, nur um danach den so enteigneten Adligen Eigentümer und Gefolgschaft in fernen, ihnen völlig unbekannten Territorien wie Vladimir, Muron, Rostov oder die an der Moskwa, zu geben, wenn sie sich dazu bereit erklärten, ihm Treue zu schwören. Führende Bojaren dieser Gebiete schickte er anschließend nach Nowgorod, um seine Macht dort zu gewährleisten – aber auch, um sie loszuwerden und in eine Abhängigkeitsposition ihm gegenüber zu stellen. Ihm gelang es so, die führenden Schichten der verschiedenen altrussischen Regionen auszutauschen, ohne dass diese in ihrer Borniertheit und Geldgier auf die Verlockungen des Moskauer Großfürsten mit einer kollektiven Adelsopposition reagierten[52]. Ein weiteres Mittel der Unterwerfung der immer zahlreicher werdenden Adligen durch den Herrscher war das sogenannte mestničestvo, eine Rangordnung der Oberschichten nach Herkunft, Würdigkeit und Verdiensten, die vom Großfürsten mehr oder weniger willkürlich kontrolliert und geändert werden konnte, und ihm somit als Instrument der Erstickung jeder möglichen ständischen Bewegung diente[53].

Was der Zusammenhang zwischen der durch die Pest geprägten demographischen Entwicklung Altrusslands und diesem Prozess der Machtkonzentration in den Händen des Herrschers und der außerordentlich durchgehenden Passivität derjenigen, die ihre frühe relativ mächtige Rolle in der Gesellschaft während dieser Jahre verloren, ist, liegt auf der Hand. Wären im 14. Jahrhunderte viele Mitglieder des schwammigen russischen Adels dazu gezwungen gewesen, sich dem Großfürsten zu unterwerfen und ihm ihre Dienste für die Verwaltung, die Verteidigung und die Expansion des Reiches anzubieten, hätten sie mit einem noch vergleichsweise schwachen Herr zu tun gehabt, der mitten in einem Krieg noch viel mehr von sich hätte geben müssen, um eine für ihn damals lebenswichtige Unterstützung zu bekommen. Jedenfalls hätten sie aus einer stärkeren Position verhandeln können. Da sie aber nicht gezwungen waren, solche Schritte zu gehen, weil die Erbgüter ihrer Vorfahren aufgrund der hohen Sterblichkeit unter wenigen Personen zu verteilen waren, hatte der Groß-fürst Zeit, seine eigene Position zu sichern und mit der Hilfe privilegierter Schichten, die aber nicht dem Adel entstammten, auszubauen. Als sich am Ende des 15. Jahrhunderts die Adligen in der Notwendigkeit sahen, doch Diensmannen zu werden, um überhaupt als Adligen noch überleben zu können, war die Macht des Herrschers schon viel zu groß, und sie hatte viel zu starke Wurzeln in diesen Legionen untitulierter Bojaren, die kein Interesse daran hatten, den jetzt verzweifelt kommenden Adligen ihren Platz zu lassen. Die Kräfteverhältnisse hatten sich also nicht zuletzt als Ergebnis der Pest und ihrer Zerstörung entscheidend geändert, und es blieb nur übrig, die bestmöglichen Bedingungen unter den schlimmsten Bedingungen überhaupt anzunehmen, um nicht den mächtigen Großfürsten als Feind zu gewinnen[54]. Alef fasst den Sachverhalt folgendermaßen zusammen: „Had the great plagues of the fourteenth century not arrested the growth of population, when Moscow was small and more vulnerable to pressure than it would become a century later, and when the powers of the Kremlin princes were far weaker, no doubt the history of the Russian northeast would have turned out far differently; as it was, the flood-tide of population came after the great consolidation of Moscovite power, putting the petitioners at an insuperable disadvantage“[55].

 

  1. Schluss

 

Eine Arbeit wie diese kann in gewissem Sinne nur doppelt frustrierend sein: einerseits kann sie keinen wirklichen Ansatz einer Geschichte der Pest in Altrussland anbieten, und schon gar nicht einer noch umfassenderen Seuchengeschichte; andererseits muss sie bei der Analyse der Entwicklung der sozialen Verhältnissen während der Entstehungszeit der russischen Autokratie bestenfalls grob und makrohistorisch, hoffentlich dennoch nicht völlig oberflächlich, bleiben, war doch meine Absicht von Beginn an, eine meiner Meinung nach wichtige Hypothese Gustave Alefs bezüglich der Ursachen dieser politischen Erscheinung darzustellen. Im Rahmen eines Hauptseminars ist es aber selbstverständlich nicht möglich, tiefer auf Aspekte der altrussischen Geschichte einzugehen, deren Betrachtung aber unabdingbar wäre, würde man die Hypothese nicht bloß darstellen wollen, sondern rigoros in Frage stellen.

Ich kann deshalb nicht sagen, ob ich Alef hundertprozentig unterstütze. Wie ich aber bei der Einleitung zu erklären versuchte, habe ich schon als (fast) Laie den Eindruck, dass seine These ein Licht auf Faktoren und Variablen wirft, die ansonsten recht selten von den Forschern der altrussischen Geschichte beachtet werden, nämlich die materiellen Faktoren im marxschen Sinne, zu denen eine Pandemie wie die Pest und die darauffolgende Knappheit an Menschen und „Arbeitskräften“ unter anderen Auswirkungen zweifelsohne gehören. Zudem finde ich die These plausibel, und die Tatsache, dass sie danach gar keinen Weg in den historiographischen Diskurs über die Zuspitzung der politischen Kultur im Moskau des 15. Jahrhunderts gefunden hat, obwohl Alef und seine Werke eine wohl außergewöhnlich breite und positive Rezeption erlangten, anziehend. Ich denke, dass es einfach nötig ist, auf das hinzuzuweisen, was meiner Meinung nach das große Problem der Versuche ist, eine Erklärung für die „typisch“ russische Autokratie zu finden, und gleichzeitig eine vergessene, vielleicht sogar verschwiegene These vorzustellen, die möglicherweise die richtige Richtung zeigen kann. Eine Geschichte der Autokratie ist nämlich ohne eine Geschichte der Menschen und ihrer materiellen Sorgen, ihres Kampfs um das Überleben, lediglich ein Schattentheater, und im 14. und 15. Jahrhundert prägte die Pest diese Geschichte der Menschen auf einer Weise, die heute kaum noch vorstellbar sein kann. Die Pest als einer der Hauptdarsteller der Geschichte Altrusslands zu dieser Zeit in Verbindung mit dem immer mächtiger werdenden Herrscher zu bringen war deshalb (noch einmal) fällig, und das ist es eben, was ich beim Verfassen dieses Textes vorhatte.

 

[1] Der Leseleichtigkeit wegen werden in dieser Arbeit grundsätzlich männliche als allgemeine Substantive benutzt. Dass in jeder erwähnten Kategorie auch Frauen gemeint sind ist selbstverständlich.

[2] Hier benenne ich die Zeitperiode, mit der ich mich in dieser Hausarbeit beschäftigen werde, bewusst ungenau, weil die Trennung der Geschichte in Altertum, Mittelalter und Neuzeit ganz offensichtlich einer eurozentrischen Sichtweise entspricht, die nicht ohne weiteres auf die altrussische Geschichte, geschweige denn auf die Geschichte anderer Länder und Kulturkreise der Welt, die nur sehr spät von Westeuropa entscheidend „beeinflusst“ wurden, übertragen werden kann – auch wenn das Seminar, dessen Abschluss diese Hausarbeit sein ist, ein sogenanntes „Hauptseminar Mittelalter“ war.

[3] Von der „These“, die besagt, dass der politische Überbau, der nach der Oktoberrevolution von der KPdSU errichtet wurde, bloß dieselbe alte Autokratie mit einem neuen Name war, halte ich nichts, und ich fühle mich auch nicht im geringsten dazu verpflichtet, ihr im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit weitere Aufmerksamkeit zu schenken. Ein solches Klischee, das auf ahistorischen und impressionistischen Argumenten basiert, die im Endeffekt lediglich rabiaten Antikommunismus und/oder schlichte Ignoranz der Realität und der zugrundeliegenden Fakten widerspiegelt, verdient meiner Meinung nach in diesem Kontext höchstens eine –wie diese– beiläufige Erwähnung.

[4] Ob der Begriff „Nationalstaat“, der dazu entwickelt wurde, um historische Erscheinungen zu erfassen, die in Westeuropa stattfanden, für Russland adäquat ist, muss innerhalb dieser Arbeit dahingestellt bleiben.

[5] Es liegt aber auf der Hand, dass „Westeuropa“ keine einheitliche Geschichte hat (ja nicht mal eine wirkliche Einheit ist), die man gegen die –auch nicht einheitliche!– russische kontrastieren könnte.

[6] Andere (wenige) Forscher und Intellektuelle (Dichter usw.), meistens auf der russichen Seite, versuchen, diese Einflüsse als ein Positivum zu konstruieren, und zwar in der Regel entweder mit der vulgär-„marxistischen“ Begründung, dass die Autokratie die Bedingungen für einen irgendwie „intensiveren“ Klassenkampf in der russischen Gesellschaft geschaffen hätte, oder aber mit der nationalistischeren („eurasischen“) Variante, dass sie die Voraussetzung für die an sich als erstrebenswert gesehene Einheit des „Kontinents“ Russland gewesen sei. Siehe dazu Neander, Irene, „Die Bedeutung der Mongolenherrschaft in Russland“, wie im Seminar verteilt, S. 349-350. Dem Geist dieser letzteren Gruppe ähnlich, wenn auch nicht der „eurasischen Schule“ zugehörend, ist I. D. Beliaev, der 1901 in seinem Buch Lektsii po istorii ruskskogo zakonodatel’stva (Lectures on the History of Russian Legislation) die Autokratie als eine notwendige, kämpferische und populäre Antwort der russischen Fürsten auf die Brutalität der Mongolen verstand – der also nicht an einer Annahme mongolischer Herrschaftsformen glaubte, sondern an eine Autokratie, die im Kampf gegen diese Formen entstand. Seine Arbeit wird von Alef, Gustave, „The Crisis of the Muscovite Aristocracy: A factor in the Growth of Monarchical Powers“, in Rulers and Nobles in Fifteenth-Century Muscovy, London 1983, in einer Fußnote (Nr. 2, S. 16) zitiert.

[7] Neander, op. cit., S. 355-356. Nebenbei bemerkt ist sie auch dankbar dafür, dass, „so schmerzlich die jahrhundertelange Ausschaltung aus einem geschichtlichen Dasein für die bodenständigen Völker gewesen ist“, die deutsche und schwedische Kolonisation des Ostbaltikums (die diese Ausschaltung verursachten) „eine Rettung vor der Verschmelzung mit dem Russentum“ war! (S. 353)

[8] Diehl, Charles, Byzantium, Greatness and Decline, New Brunswick 1957 (zitiert von Alef, Gustave, op. cit., S. 16, Fußnote 2).

[9] Marx, Karl, „Enthüllungen der diplomatischen Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts“, in Rubel, Maximilien (Hrsg.), Marx/Engels. Die russische Kommune. Kritik eines Mythos, München 1972, S. 119-124 (Zitat aus S. 124).

11 Phillip, Werner, „Zur Frage nach der Existenz altrussischer Stände“, in Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, (Deutschland), 1980, 27:64-76 (Zitat aus S. 73-74).

[11] Engels, Friedrich, „Briefe über materialistische Geschichtsinterpretation“, in Fetscher, Iring (Hrsg.), Karl Marx. Friedrich Engels. Studienausgabe in 4 Bänden. Band I. Philosophie, Frankfurt am Main 1972 (1. Ausgabe 1966), S. 223-238 (Zitat aus S. 236-237).

13 Siehe Fußnote 5.

[13] Alef, op. cit., S. 16-17.

[14] Die einzige Erwähnung dieser Hypothese, die ich gefunden habe, ist eine eher beiläufige bei Alexander, John T., Bubonic Plague in early modern Russia: public health and urban disaster, Baltimore 1980, S. 14: „Possibly the Black Death assisted the growth of absolutism in northeastern Russia by decimating the aristocracy when it still enjoyed political parity with the dynasties of the leading principalities“ (mit dem entsprechenden Hinweis auf die Arbeit Alefs im Fußnotenapparat). Das Buch befasst sich aber im Übrigen mit der Geschichte der Pest in Russland des 18. Jahrhunderts.

[15] Die Geschichte der Pest in Westeuropa muss womöglich auch noch geschrieben werden, es gibt jedoch mehrere Werke, die in die Richtung zielen, und die längst die solide Mauer der Einstufung der Pest als einen traumatischen aber doch nebensächlichen Faktor in der Herausbildung der „Neuzeit“ durchbrachen. Ansätze und Literatur dazu sind bei Dinges, Martin, „Neue Wege in der Seuchengeschichte?“, in Dinges, Martin und Schlich, Thomas (Hrsg.), Neue Wege in der Seuchengeschichte, Stuttgart 1995, S. 7-24, zu finden.

[16] Siehe dazu Dinges, Martin, „Pest und Staat: Von der Institutionengeschichte zur sozialen Konstruktion“, in Dinges, Martin und Schlich, Thomas (Hrsg.), op. cit., S. 71-104; oder vor allem Zinn, Karl Georg, Kanonen und Pest. Über die Ursprünge der Neuzeit im 14. und 15. Jahrhundert, Opladen 1989, der sich darüber beschwert, dass „diese tiefe Erschütterung Europas […] gegenüber […] weit weniger bedeutsamen historischen Geschehnissen einen relativ nachgeordneten Platz nicht nur im allgemeinen Geschichtsbewußtsein […] ein [nimmt], sondern selbst in vielen weit ausholenden Geschichtswerken zurück [tritt]“ (S. 21). Relevant sind auch S. 151 ff., weil er dort die Debatte zusammenfasst, die sich mit der Frage beschäftigt, ob die Pest als Ursache (oder wenigstens als entscheidender Katalysator) eines Umbruchs oder als ein weiteres Symptom (unter vielen anderen) dieses Umbruchs zu betrachten ist.

[17] Für Zinn besteht auch die Möglichkeit, dass beide Regionen „zwei unabhängig voneinander wirksame Pestherde“ waren (op. cit., S. 157). Weitere Texte zum Wesen (da es sich wahrscheinlich bei „der Pest“ nicht immer um die gleiche Krankheit handelte), zum Ursprung und zur Ausbreitung der Pest (unter vielen anderen): Biraben, Jean Noel, Les hommes et la peste en France et dans les pays européens et méditerranéens, Band I (von zwei), Paris 1975; Gottfried, Robert S., The Black Death. Natural and Human Disaster in Medieval Europe, New York 1983; Vasold, Manfred, Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991; Bergdolt, Klaus, Der Schwarze Tod in Europa. Die große Pest und das Ende des Mittelalters, München 1994; Herlihy, David (aus dem Englischen von Fliessbach, Holger), Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas (original: The Black Death and the Transgormation of the West), Berlin 1998 (1. Aufl. Boston 1997) usw. Zum Wesen der Pest siehe auch die Einführung Alexanders (op. cit.).

[18] Interessant ist aber, wie „die Schuld“ manchmal den Mongolen regelrecht zugeschoben wird; bei Thilo Esser (Pest, Heilsangst und Frömmigkeit. Studien zur religiösen Bewältigung der Pest am Ausgang des Mittelalters, Altenberge 1999) wird das besonders gut herauskristallisiert: „durch die Tataren aus Innerasien über die Schwarzmeer- und Mittelmeerhäfen eingeschleppt, weitete sich die Seuche über ganz Europa aus“ (S. 19). Die bösen Tataren! Hier wird den Tataren vorgeworfen, die Seuche nach Westeuropa gebracht zu haben, ohne dass nur ein Wort über die italienischen Händler (die am Schwarzen Meer übrigens nicht unbedingt was zu suchen hatten) fällt! Bei Herlihy (op. cit., S. 16) findet man auf der anderen Seite die Version, nach der die Mongolen, die Kaffa belagerten, Leichen von Pestopfern über die Mauern der von den Genuensern kontrollierten Stadt katapultierten, um die Händler absichtlich und auf eine übrigens sehr moderne Art und Weise zu infizieren. Ich kann leider nicht beurteilen, inwiefern diese Version zu akzeptieren ist, da sie voraussetzt, dass a) die Mongolen schon damals (wie später einige Intellektuelle im Westen) zur Infektionstheorie gekommen waren, um die Krankheit zu erklären, und auch b) dass der Kontakt mit an Pest verstorbenen Menschen aus medizinischer Sicht ein tatsächliches Risiko darstellte.

[19] Alef, op. cit., S. 36. Er zitiert daraufhin K. F. Helleiner (The Population of Europe from the Black Death to the Eve of the Vital Revolution. The Cambridge Economic History, vol. 4, Cambridge 1967, S. 8), der beschrieb, wie die Pest sich bloß „from Portugal to Poland, and from Sicily to Sweden“ ausweitete.

[20] Dazu siehe unter vielen anderen Vasold, Manfred, op. cit., S. 23 ff.

[21] Renggli, Franz, Die Pest als Ausbruch einer Massenpsychose im Mittelalter. Zur Geschichte der frühen Mutter-Kind-Beziehung, Hamburg 1992, S. 263; Alexander, op. cit., S. 11-12.

[22] Alexander (op. cit., S. 13) weist aber auf verschiedene „considerations“ hin, die dieser Version wider-sprechen: die Kontakte zwischen Nordostrussland und die Goldene Horde zum Beispiel, oder die Tatsache, dass eine spätere Pestwelle (1364-65) laut den Chroniken aus dem Süden kam.

[23] Alef, op. cit., S. 37.

[24] Oft wird mehr oder minder kategorisch behauptet, dass die Pest am härtesten die gesellschaftlichen Unterschichten traf, was sowohl mit ihrer Unterernährung als auch mit der Tatsache zu tun haben soll, dass die Oberschichten viel eher in der Lage waren, sich durch Flucht oder Isolierung zu schützen, wie bei Boccaccios Decamerone geschildert wird (das Wort „Isolation“ entstammt übrigens aus der Zeit der Pest, da man ab 1374 anfing, verdächtige Reisende nach Venedig auf der Isola di Lazaro abzusondern – aus Spencker, F.-Bernhard, „Epidemiologische Aspekte von Massenseuchen“, in Riha, Ortrun [Hrsg.], Seuchen in der Geschichte: 1348-1998. 650 Jahre nach dem Schwarzen Tod. Referate einer interdisziplinären Ringvorlesung im Sommersemester 1998 an der Universität Leipzig, Aachen 1999, S. 109-120). Es ist in der Tat nur logisch, dass die meisten Opfer einer Infektionskrankheit aus den Reihen der Mehrheit kommen, aber der Zusammenhang ist nicht ganz so einfach zu erfassen: Herlihy behauptet z. B., dass „es […] keine Verbindungen zwischen Hungersnot und Pest, Unterernährung und Krankheit zu geben [scheint]. Unter bestimmten Bedingungen kann Unterernährung sogar vorbeugend gegen Infektion wirken. Bakterien benötigen viele derselben Nährstoffe wie ihre menschlichen Wirte“ (op. cit., S. 31). Dinges betont die „Konstruktion“ der Pest: „Nachdem man […] immer wieder beobachtet hatte, dass die Pest […] in den Armenvierteln ausbrach und die Armen auch angeblich öfter Opfer der Pest wurden, nachdem dieses Muster […] relativ schnell in den Köpfen verfestigt hatte, gab es auch eine Tendenz, bei Reichen andere Todesursachen anzugeben“ („Pest und Staat“, in Dinges und Schlich [Hrsg.], op. cit., S. 97).

[25] Aus Alef, op cit., S. 37-38.

[26] Dinges („Neue Wege in der Seuchengeschichte?“, in Dinges und Schlich [Hrsg.], op. cit., S. 10) warnt aber davor, „sofort von der Schrecklichkeit der Seuche […] als von etwas auszugehen, das auch für die Zeitgenossen in dieser Gefährlichkeit jeweils umgehend evident war. […] Erst die Nachgeborenen entwickeln im Rückblick […] eine klare Vorstellung von dem genauen Moment des Seuchenausbruchs als Bruch der Normalität“.

[27] Alexander, op. cit., S. 14.

[28] Siehe dazu Zguta, Russell, „The One-Day Votive Church. A Religious Response to Black Death in Early Russia“, in Slavic Review, 1981, 40 (3):423-432.

[29] Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, die Pogromwelle zu besprechen, die der Pest im 14. Jahrhundert in mehreren Ländern Westeuropas folgte. Die vielleicht umfassendste Studie dieser üblen Erscheinungen ist Graus, Frantisek, Pest-Geissler-Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 86, Göttingen 1987, insbesondere S. 312 ff.

[30] Alexander, op. cit., S. 14, spricht von zwei verschiedenen Staffeln von Hexenverbrennungen, die während zwei Wellen der Pest in Pskov am Ende des 14. und am Anfang des 15. Jahrhunderts stattfanden.

[31] Dinges, „Pest und Staat“, in Dinges und Schlich (Hrsg.), op. cit., S. 79.

[32] Idem, S. 98.

[33] Alef, op. cit., S. 38. 1360 gab es eine regionale Pestwelle in Pskov, die aber den Rest Russlands nicht berührte.

[34] Alexander, op. cit., S. 15. Er weist auch darauf hin, dass die Pest keineswegs nur als „negativ“ für Altrussland, und insbesondere für Moskau, dargestellt werden kann: 1396 dezimierte zum Beispiel eine Pestwelle die Goldene Horde und verursachte angeblich, dass die Tataren einen geplanten Angriff auf Moskau nicht durchführen konnten; die Eroberung Nowgorods durch Moskau soll durch die Pestwelle erleichtert worden sein, unter der die erste Stadt als einzige in ganz Russland 1478 gelitten hatte.

[35] Alef, op. cit., S. 38.

[36] Renggli, op. cit., S. 29.

[37] Herlihy, op. cit., S. 7.

[38] Renggli schreibt: „Auch im übrigen Osteuropa scheint die Pest relativ milde verlaufen zu sein, mit einer Bevölkerungsreduktion in Polen und Ungarn zwischen 15 und 25 Prozent“ (op. cit., S. 263). Wenn die Pest in Altrussland genauso „milde“ abgelaufen ist, kann die Prozentzahl der Opfer der Epidemie höchstens niedriger als die in Westeuropa sein, auf keinen Fall soll sie aber an sich als unwichtig betrachtet werden.

[39] Notwendigerweise geht es hier nur um Männer, denn „Frauen existierten offiziell nicht, tauchten daher nicht einmal im Stammbaum der Familie auf“. Aus Auerbach, Inge, „Der Begriff ‚Adel‘ im Russland des 16. Jahrhunderts“, in Cahiers du Monde Russe et Soviétique (Frankreich), 1993, 34 (1-2):73-88 – S. 74.

[40] Alef, op. cit., S. 38. Die Quellen erwähnen nur die Ursache des Todes, wenn es sich um einen glorreichen Tod in einem Krieg oder um eine peinliche Hinrichtung wegen Verrats handelt.

[41] Siehe Alef, op. cit., S. 39-40, für mehr Beispiele.

[42] Siehe dazu z. B. das Testament Ivans I. (Kalita) von ca. 1339, der seine Besitztümer noch unter allen seinen männlichen Kindern verteilte, in Vernadsky, Geroge und Fisher, Ralph T. (Hrsg.), A Source Book for Russian History from Early Times to 1917, vol. 1, New Haven 1972, S. 53-54. Im gleichen Band ist das Testament Ivans III., 1504 geschrieben (also zur Zeit der Konsolidierung der Autokratie), in dem der älteste Sohn schon eine herausragende Stellung bekommt: „I entrust my younger children […] to my son Vasilii, their eldest brother. […] I bless my oldest son Vasilii with my patrimony, the grand principalities […] And I give him the city of Moscow with its volosti… and with its villages […]. And what I have given to my younger children […] –the towns, the volosti, and the villages– over these they shall have authority […], and beyond this they shall not interfere in any possession of my son Vasilii“ (S. 120).

[43] Als der Großfürst Moskaus zum Beispiel dachte, dass seine ganze Familie erlöschen würde (siehe S. 8).

[44] Für Alef war diese Situation in der Tat so gut, dass die Adligen sich nicht mal darum Sorgen machen mussten, dass es auch weniger Bauern gab und die Arbeitskraftkosten folglich auch höher wurden. Op. cit., S. 40.

[45] Für eine detailliertere Darstellung dieser Konflikte siehe Alef, op. cit., S, 41; und Alef, Gustave, „Das Erlöschen des Abzugsrechts der Moskauer Bojaren“, in Rulers and Nobles in Fifteenth Century Muscovy, London 1983, S. 22-23.

[46] Siehe dazu unter anderen Quellen zum Erbrecht das oben in der Fußnote 43 schon zitierte Testament Ivans III. aus dem Jahre 1504.

[47] Im oben zitierten Testament des Ivans III. findet man auf S. 120 sogar folgendes: „As for the service princes in the land of Moscow and the land of Tver, they shall serve my son Vasilii, and they shall hold their hereditary estates as they did in my time. But whoever of these service princes leaves my son Vasilii to go over to my younger children, or to anybody else, his estates will fall to my son Vasilii“.

[48] Auf diesen Machtzuwachs kann hier nicht weiter eingegangen werden – für weitere Besprechungen dieses Themas und seine Nebenaspekte („symbolische Gesten“ des Herrschers wie der Heirat Ivan III. mit der griechischen Prinzessin Zoe nach dem Fall Konstantinopels, der Wechsel in der Anrede zum Großfürsten von gospodin [Herr] zu gosudar [Herrscher] oder das Auftauchen des kaiserlichen Doppeladlers während der Regierungszeit Ivans) siehe zum Beispiel Stökl, Günther, Russische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1973 (3. Auflage), S. 205ff, oder die oben mehrmals erwähnten Aufsätze Alefs.

[49] Auerbach weist darauf hin, dass, selbst wenn „Dienst […] die Aufgabe der persönlichen Freiheit [bedeutete]“, und vor allem in der Praxis der Abzugsfreiheit, „diese persönliche Freiheit […] wegen der ökonomischen Vorteile der Unfreiheit in Moscovien für den gesellschaftlichen Status eines Adligen keine echte Bedeutung [hatte]“. Op. cit., S. 79.

[50] Obwohl diese Arbeit bestenfalls eine Vogelperspektive der politischen Geschichte Altrusslands während der behandelten Periode anbieten kann, und ich deshalb nicht genauer auf die Regierung Vasiliis oder die Ivans eingehe, sollte hier in einer Fußnote geschrieben werden, dass ich mit Rüss einer Meinung bin, dass „man […] also nicht sagen [kann], dass sich seit der Regierung Ivans III. neue prinzipielle Momente im politischen Aufbau des Moskauer Staates sowie im sozialen Charakter der diesen Aufbau tragenden Führungsschicht erkennen lassen. Die überlieferte Form der Zusammenarbeit zwischen Herrscher und Adel bricht nicht ab, sondern setzt sich fort und manifestiert sich z. T. in neuen Institutionen“ (aus Rüss, Hartmut, Adel und Adelsoppositionen im Moskauer Staat, Wiesbaden 1975, S. 64). Diese Anmerkung ist auch insofern wichtig, als dass mein Ansatz bei dieser Hausarbeit ein makrohistorischer ist, der gewisse kleine Unterschiede und persönlichkeitsbedingte, nur im mikrohistorischen Sinne wichtige Aspekte der Entstehung und Entwicklung der Autokratie als soziale Gebilde, bewusst ausser acht lässt.

[51] Zu den Beziehungen zwischen Herrscher und Bojaren siehe z. B. den „sudebnik“ von 1497, in Vernadsky, Geroge und Fisher, Ralph T. (Hrsg.), op. cit., S. 118-119.

[52] Siehe Alef, „Das Erlöschen des Abzugsrechts…“, in op. cit., S. 40ff; und Stökl, op. cit., S. 205ff. Zu den „Verlockungen“ des Dienstes fügt Auerbach (op. cit., S. 79) hinzu: „Hellie hat ausführlich dokumentiert, dass Sklaverei eine Art ‚Sozialversicherung‘ in Russland bedeutet hat, denn der Herr war verpflichtet, für den Lebensunterhalt des holop zu sorgen. Dies mochte attraktiv gerade für den kleinen Adligen erscheinen“.

[53] „Hieraus entwickelte sich vom 15. Jahrhundert an das komplizierte System des mestničestvo […]. Aus diesem System erwuchs eine Kette endloser Streitigkeiten, die dann jeweils der Großfürst zu schlichten hatte. Wo aber der Fürst vom Adel ständig als Schiedsrichter angerufen wurde, da mussten die Voraussetzungen dafür fehlen, dass dieser Adel dem Fürsten gegenüber ein machtpolitisches Gegengewicht bildete“. Aus Nitsche, P., „Die Mongolenzeit und der Aufstieg Moskaus (1240-1538)“, in Hellmann, M.; Schramm, G.; und Zernack, K. (Hrsg.), Handbuch der Geschichte Russlands. Bd. 1, Stuttgart 1981, S. 534-715 (Zitat aus S. 693-694).

[54] Das bedeutet nicht, dass die einzelnen Adligen keinerlei Vorteile in ihrer neuen Position genossen; wie Auerbach schreibt, „bedeutete das ‚sich Versklaven‘ [nicht zuletzt] […] die Möglichkeit, sich auf Kosten des Herren zu bereichern, diesen ‚auszubeuten‘“. Der wichtige Punkt ist, auch in ihren Worten, dass „Diese ‚Ausbeutung‘ von seiten des Herren einkalkuliert, aber eingeschränkt [wird]“ (op. cit., S. 79).

[55] Alef, „The Crisis…“, in op. cit., S. 57-58.

 

  1. Verzeichnis der benutzten Literatur

 

Quellen

 

  • Vernadsky, George; Pushkarev, Sergei; und Fischer, Ralph T., A Source Book for Russian History. Vol. 1. From Early Times to the Late Seventeenth Century, New Haven 1972.

 

Sekundärliteratur

 

Aufsätze und Artikel:

 

  • Alef, Gustave, „The Crisis of the Muscovite Aristocracy: A factor in the Growth of Monarchical Powers“, in Rulers and Nobles in Fifteenth-Century Muscovy, London 1983.
  • Alef, Gustave, „Das Erlöschen des Abzugsrechts der Moskauer Bojaren“, in Rulers and Nobles in Fifteenth-Century Muscovy, London 1983.
  • Auerbach, Inge, „Der Begriff ‚Adel‘ im Russland des 16. Jahrhunderts“, in Cahiers du Monde Russe et Soviétique (Frankreich), 1993, 34 (1-2):73-88.
  • Dinges, Martin, „Neue Wege in der Seuchengeschichte?“, in Dinges, Martin und Schlich, Thomas (Hrsg.), Neue Wege in der Seuchengeshichte, Stuttgart 1995, S. 7-24.
  • Dinges, Martin, „Pest und Staat: Von der Institutionengeschichte zur sozialen Konstruktion“, in Dinges, Martin und Schlich, Thomas (Hrsg.), Neue Wege in der Seuchengeshichte, Stuttgart 1995, S. 71-104.
  • Engels, Friedrich, „Briefe über materialistische Geschichtsinterpretation“, in Fetscher, Iring (Hrsg.), Karl Marx. Friedrich Engels. Studienausgabe in 4 Bänden. Band I. Philosophie, Frankfurt am Main 1972 (1. Ausgabe 1966), S. 223-238.
  • Marx, Karl, „Enthüllungen der diplomatischen Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts“, in Rubel, Maximilien (Hrsg.), Marx/Engels. Die russische Kommune. Kritik eines Mythos, München 1972, S. 119-124.
  • Neander, Irene, „Die Bedeutung der Mongolenherrschaft in Russland“, wie im Seminar verteilt.
  • Nitsche, P., „Die Mongolenzeit und der Aufstieg Moskaus (1240-1538)“, in Hellmann, M.; Schramm, G.; und Zernack, K. (Hrsg.), Handbuch der Geschichte Russlands. Bd. 1, Stuttgart 1981, S. 534-715.
  • Phillip, Werner, „Zur Frage nach der Existenz altrussischer Stände“, in Forschungen zur osteuropäischen Geschichte, (Deutschland), 1980, 27:64-76.
  • Spencker, F.-Bernhard, „Epidemiologische Aspekte von Massenseuchen“, in Riha, Ortrun [Hrsg.], Seuchen in der Geschichte: 1348-1998. 650 Jahre nach dem Schwarzen Tod. Referate einer interdisziplinären Ringvorlesung im Sommersemester 1998 an der Universität Leipzig, Aachen 1999, S. 109-120.
  • Tanz, Sabine, „Pest und spätmittelalterliche Mentalität“, in Riha, Ortrun [Hrsg.], Seuchen in der Geschichte: 1348-1998. 650 Jahre nach dem Schwarzen Tod. Referate einer interdisziplinären Ringvorlesung im Sommersemester 1998 an der Universität Leipzig, Aachen 1999, S. 46-73.
  • Zguta, Russell, „The One-Day Votive Church. A Religious Response to Black Death in Early Russia“, in Slavic Review (USA), 1981, 40 (3):423-432.

 

Bücher:

           

  • Alexander, John T., Bubonic Plague in early modern Russia: public health and urban disaster, Baltimore 1980.
  • Beckmann, Gudrun und Keim, Christine, Eine Zeit großer Traurigkeit: die Pest und ihre Auswirkungen, Marburg 1987.
  • Bergdolt, Klaus, Der Schwarze Tod in Europa. Die große Pest und das Ende des Mittelalters, München 1994.
  • Biraben, Jean Noel, Les hommes et la peste en France et dans les pays européens et méditerranéens. Band (von zwei), Paris 1975.
  • Gottfried, Robert S., The Black Death. Natural and Human Disaster in Medieval Europe, New York 1983.
  • Graus, Frantisek, Pest-Geissler-Judenmorde. Das 14. Jahrhundert als Krisenzeit. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 86, Göttingen 1987.
  • Herlihy, David (aus dem Englischen von Fliessbach, Holger), Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas (original: The Black Death and the Transgormation of the West), Berlin 1998.
  • Kupferschmidt, Hugo, Die Epidemiologie der Pest. Der Konzeptwandel in der Erforschung der Infektionsketten seit der Entdeckung des Pesterregers im Jahre 1894, Aarau 1993.
  • Platt, Colin, King Death. The Black Death and its Aftermath in Late-Medieval England, London 1996.
  • Renggli, Franz, Die Pest als Ausbruch einer Massenpsychose im Mittelalter. Zur Geschichte der frühen Mutter-Kind-Beziehung, Hamburg 1992
  • Ruffié, Jacques und Sournia, Jean-Charles (aus dem Französischen von Seeler, Brunhild), Die Seuchen in der Geschichte der Menschheit (original: Les epidemies dans l’histoire de l’homme), Stuttgart 1987.
  • Rüss, Hartmut, Adel und Adelsoppositionen im Moskauer Staat, Wiesbaden 1975.
  • Stökl, Günther, Russische Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1990 (5. Auflage).
  • Torke, Hans Joachim, Einführung in die Geschichte Russlands, München 1997.
  • Torke, Hans Joachim (Hrsg.), Lexikon der Geschichte Rußlands. Von den Anfängen bis zur Oktober-Revolution, München 1985.
  • Torke, Hans Joachim (Hrsg.),
  • Thilo Esser, Pest, Heilsangst und Frömmigkeit. Studien zur religiösen Bewältigung der Pest am Ausgang des Mittelalters, Altenberge 1999.
  • Vasold, Manfred, Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991.
  • Zinn, Karl Georg, Kanonen und Pest. Über die Ursprünge der Neuzeit im 14. und 15. Jahrhundert, Opladen 1989.

 

(Crédito de imagen de thumbnail: https://de.wikipedia.org/wiki/Pest. Crédito de imagen de inicio de post: https://de.wikipedia.org/wiki/Mongolensturm).

 

 

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